Zwei Tage nach dem Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Husi Mubarak ist das Militär bemüht, so etwas wie Normalität auf dem Tahrir-Platz in Kairo wiederherzustellen. Erstmals wurden am Sonntagmorgen Teile des Platzes, auf dem Hunderttausende Ägypter in den vergangenen Wochen mit ihren Demonstrationen den Sturz des Staatschefs erzwungen hatten, wieder für den Verkehr freigegeben.
Allerdings harrten noch hunderte Menschen bis zum Sonntagmorgen auf dem Tahrir-Platz aus. Sie misstrauen der Übergangsregierung und verlangen weiter die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Auflösung des Parlaments. Als unbewaffnete Soldaten und Polizisten versuchten, sie vom Platz zu drängen, kam es nach Augenzeugenberichten zu lautstarken Auseinandersetzungen und Rangeleien. Hunderte neue Demonstranten strömten darauf auf den Platz, um die dort Anwesenden zu verstärken.
Auch wenn diese kleinen Konflikte gewaltfrei verlaufen, kann von einer auch nur halbwegs stabilen Lage noch keine Rede sein. Die junge sozusagen außerparlamentarische Opposition verlangt vom Militär einen konkreten Zeitplan für freie demokratische Wahlen. Den jedoch möchten die Übergangsmachthaber derzeit nicht abgeben. Das Militär werde eine friedliche Übergabe der Macht im Rahmen eines freien, demokratischen Systems garantieren, sagte der Sprecher des Obersten Militärrates am Samstag im ägyptischen Staatsfernsehen. Eine gewählte Zivilregierung werde diesen Staat dann aufbauen.
Ein Oppositionsrat soll dem Militär weiter Druck machen
Bis es soweit ist, werde das vom gestürzten Präsidenten eingesetzte Regierungskabinett im Amt bleiben und sich um die Alltagsprobleme des Staates kümmern: Versorgung der Bevölkerung, Wiederherstellung der Ordnung und Ankurbelung der Wirtschaft. Allerdings würden einzelne Ministerposten sofort neu besetzt. Etwa der bisherige Informationsminister, der nach Medienberichten unter Hausarrest gestellt wurde.
Für die Organisatoren der Massenproteste sind das offenbar zu wenige und zu halbherzige Schritte. Sie riefen einen Rat ins Leben, der die Umsetzung der Revolutionsziele sichern soll. Weitere Demonstrationen würden folgen, sollte das Militär die Forderungen des Volkes nicht erfüllen.
Nach Einschätzung des Nahost-Experten Stephan Roll wären neue Proteste wahrscheinlich, wenn das Militär die Opposition nicht am politischen Prozess beteiligt. Die Militärführung sei ein "integraler Bestandteil" der Regierung Mubaraks gewesen und "viel zu dicht am Regime". Die Ägypter würden ein Weiterregieren der bisherigen Eliten nicht akzeptieren. "Wenn das Militär nur mit den alten Köpfen weitermacht, könnte es schnell zu neuen Unruhen kommen", sagte der Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) der Nachrichtenagentur AFP. "Es müssen jetzt Menschen in die Regierung eingebunden werden, die das Vertrauen der relevanten Oppositionsgruppen genießen."
Es sei nicht realistisch, dass es in den kommenden sechs Monaten überhaupt Neuwahlen geben werde, sagte Roll. Zwar hätte sich aus der Protestbewegung eine "außerparlamentarische Opposition" gebildet, die zunächst Parteistrukturen bilden müsse. Das gelte insbesondere für die Gruppen, die bei den Protesten etwa auf dem Tahrir-Platz in Kairo tonangebend waren. "Diese Gruppen müssen sich organisieren, das braucht einfach Zeit." Führende Oppositionspolitiker hätten deshalb bereits signalisiert, keine Wahlen vor 2012 anzustreben.
Unklarheit herrscht auch über die Ziele der Muslimbruderschaft, der wichtigsten Oppositionsgruppe des Landes. "Das müssen die Muslimbrüder erst einmal selbst herausfinden", sagte der Nahost-Experte. So gebe es innerhalb der Gruppe einen starken Flügel, der vor allem im karitativen Bereich engagiert sei und kein Engagement in der Politik wünsche. "Aus der Bruderschaft heraus könnte sich aber eine islamische Partei gründen", sagte Roll. Um dies zu ermöglichen sei aber eine Verfassungsänderung nötig, da die Verfassung parteipolitisches Engagement unter einem religiösen Referenzrahmen untersage. "Einen nachhaltigen Wandel könne es nur geben, wenn islamistische Kräfte mit in diesen Prozess eingebunden werden."
Das Ausland drängt auf demokratischen Wandel
Der Druck auf die Machthaber in Ägypten wächst nicht nur von innen. US-Präsident Barack Obama drängte in mehreren Telefonaten mit Staats- und Regierungschefs in Europa und im Nahen Osten weiter auf einen demokratischen Wandel in Ägypten. Obama habe mit dem britischen Premier David Cameron, dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem jordanischen König Abdullah gesprochen, teilte das Weiße Haus am Samstag mit. Obama habe in den Telefonaten betont, dass Demokratie mehr und nicht weniger Stabilität in die Region bringe.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton kündigte an, nach Kairo zu fliegen und dort auch mit den islamistischen Muslimbrüdern zu sprechen. Sie forderte das ägyptische Militär auf, so schnell wie möglich Wahlen abzuhalten. Die notwendige Übergangsphase solle nicht länger als ein paar Wochen, höchstens einige Monate dauern.