"Guten Morgen. Darf ich fragen, was Sie da machen?" Es ist Montagfrüh, kurz nach sechs. In der Schalterhalle des Terminal C herrscht reger Betrieb. Ich stehe auf einer Treppe, die vom Parkhaus in die Halle führt. Von hier aus hat man einen guten Ausblick auf den Eincheck-Bereich, die Schalter von United Airlines oder der Billigfluglinie Blue Jet. Ich mache ein paar Fotos. Es blitzt.
Ich bleibe nicht lange alleine. Schon nach einer knappen Minute steht ein Polizist des Bundesstaats Massachusetts vor mir. 55 vielleicht, grauhaarig, mit einem breitkrempigen Hut, hellblauem Hemd und dunkelblauer Hose. Er sieht aus wie ein Trapper im Sonntagsanzug. Lustig ist das nicht. Der Mann schaut ernst drein. "Was machen Sie da?" - "Ich fotografiere", sage ich. "Von hier hat man den ganzen Terminal im Blick". Weshalb ich das mache, will er wissen, und für wen ich arbeite. Und dass das nicht gehe, sagt er. Er ist freundlich, aber bestimmt. Mit dem Mann ist nicht zu Spaßen. Er sieht aus, als wäre er bereit, Ungehorsam mit sofortiger Verhaftung zu ahnden.
"Das Ereignis hatte schreckliche Auswirkungen auf Logan"
"Unser aller Leben wurde durch diesen Tag verändert," sagt Thomas Kinton, heute Chef des staatlich überwachten Verkehrsbetriebs Massachusetts Port Authority (Massport), der auch für Logan zuständig ist. 2001 war er derjenige, der sich um den gesamten Flugverkehr kümmerte. "Unsere Leben wurden für immer verändert," wiederholt er. "Für viele Flughäfen im Land war 9/11 ein theoretisches Ereignis", sagt auch Peter Howe, Redakteur der Tageszeitung "Boston Globe". "Aber die Menschen in Logan haben dieses Ereignis praktisch bis auf die Knochen gespürt." Das Ereignis löste einen Schock aus, Angst, bei den Massport-Mitarbeitern, dem Bodenpersonal der Fluglinien, den Verkäufern an den Kiosken. Die Vorsicht war groß. Planespotter wurden von den Parkdecks vertrieben, Führungen durch den Flughafen abgeschafft, selbst Luftbilder gibt die Flughafenleitung nicht mehr heraus. Aber nicht nur das. Auch das Geschäft brach ein. Die Passagiere - einst knapp über 27 Millionen im Jahr - blieben aus. Massport musste Angestellte entlassen. Washington beschloss neue Sicherheitsbestimmungen und setzte kurze Fristen, innerhalb derer die Regeln schnell umgesetzt werden mussten. Zudem gab es immer lauter werdende Vorwürfe, Massport hätte die Terroristen erkennen und die Anschläge verhindern müssen. "Boston war nicht Ground Zero, aber Boston war Ground Zero für die Ermittlungen", beschreibt Massport-Chef Kinton die Situation. "Die ganzen Ereignisse des 11. September hatten schreckliche Auswirkungen auf Logan", sagt Redakteur Howe.
"Die Terroristen haben nichts Illegales getan"
Die Vorwürfe, man trage eine Mitschuld an den Anschlägen, wehren die Flughafenbetreiber bis heute ab. Jenes Karton-Messer, jener "Box-Cutter", den die Terroristen mit an Borden genommen hätten, der hätte damals nicht gegen die Bestimmungen verstoßen, heißt es. Und auch ansonsten habe man sich strikt an die gültigen Regeln gehalten - nur, die seien damals eben laxer gewesen. "Die Terroristen haben nichts Illegales getan, bevor sie in das Flugzeug stiegen", sagt etwa Logans Sicherheitschef Dennis Treece. Zwar habe man ein paar der Terroristen einer kurzen Sonderprüfung unterzogen. Aber das sei Routine gewesen, entsprechend den damaligen Regeln. Etwas Auffälliges habe man nicht gefunden.
Jenseits der Debatte über ihre Mitschuld versuchten die Bostoner, entschlossen zu reagieren. Schon für den 12. September 2001 berief Flugverkehrs-Chef Kinton ein Treffen der Top-Leute all jener Stellen ein, die auf dem Flughafen etwas mit Sicherheit zu tun hatten, vom FBI bis zu den Sicherheitsleuten. Seither hat dieses Treffen jeden Morgen statt gefunden. Immer um 8.30 Uhr in der Früh. Es dient der Koordination, es dient dem schnellen Informationsfluss. Der Termin hat schon fast Kult-Status.
Teures System durchleuchtet Gepäck
Seit 2001 hat sich Logan zudem zu einem Versuchslabor in Sachen Sicherheit entwickelt. Kameras, Scanner, kleine Maschinen, die binnen Minuten Waschpulver von Anthrax unterscheiden können, das alles habe man getestet, berichtet Sicherheitschef Treece mit fast schon kindlicher Begeisterung. 54 neue Technologien habe man bislang getestet, 15 übernommen, acht oder neun abgelehnt, der Rest sei noch weiter in der Erprobung. Für angebliche 154 Millionen Dollar haben sie hier ein neues Gepäck-Scanning-System gekauft, das tief im Innern des Flughafens Koffer und Taschen schnell und effizient durchleuchtet, ohne die Abläufe in den Schalterhallen zu blockieren. Aber nicht nur in Sachen "Hardware" gibt sich Logan modern. Man heuerte einen israelischen Experten an, den ehemaligen Sicherheitschef des Ben Gurion Flughafens in Tel Aviv. Erst analysierte der die Schwachstellen des Flughafens, dann trimmte er fast das ganze Personal auf besonders auffällige Verhaltensweisen vermeintlicher Passagiere oder Abholer.
Der "First-Line-of-Defense-Award"
Vom Taxifahrer über den Kiosk-Verkäufer bis hin zum Putzmann im Food-Court - bis heute muss jeder, der an dem Flughafen arbeitet, ein spezielles Training durchlaufen. "An einem Flughafen gibt nur eine begrenzte Anzahl zulässiger Handlungen", erklärt Treece. Man bringt jemanden zum Flieger, holt jemanden ab, wartet, kommt an, fliegt ab. "Wenn Du Dich nicht normal fällst, fällst Du auf", sagt der Sicherheitschef. George Naccara, Chef der staatlichen Sicherheitsagentur Transportation Security Administration (TSA) am Flughafen Logan, fügt hinzu: "Niemand kann sich verstellen. Es gibt unfreiwillige Reaktionen auf Stress, Angst und Täuschung. Das kann man nicht verhindern." Für besonders aufmerksame Mitarbeiter gibt es am Bostoner Flughafen den "First-Line-of-Defense-Award", eine Urkunde, die sich der Ausgezeichnete an die Wand nageln kann, ähnlich wie bei McDonald's die Plakette für den "Mitarbeiter der Woche".
Die Transportation Security Administration(TSA) hat in dem neuen Sicherheitskonzept für US-Flughäfen die undankbarste, möglicherweise aber auch die wichtigste Aufgabe: Sie muss sicherstellen, dass es sich bei den Passagieren nicht um Terroristen handelt und das Gepäck überwachen. Vor den Anschlägen war die Überprüfung von Reisenden und ihrem Gepäck eine Sache der Fluglinien gewesen, die wiederum vor allem private Firmen engagierten, die das Sicherheitsgeschäft - und vor allem die Leibesvisitationen - erledigten. Allerdings war es damals nicht einmal Vorschrift, dass das gesamte Gepäck durchleuchtet werden musste. Es genügten Stichproben. Nach dem 11. September 2001 beschloss der US-Kongress, die Sicherheits-Checks einer neuen staatlichen Stelle zu übertragen, eben der TSA. Sie sollte an allen Flughäfen auftreten und das gesamte Gepäck untersuchen. Die TSA wurde dem Heimatschutzministerium unterstellt, jener ebenfalls neu gegründeten Mammutbehörde, die vor allem aus unzähligen Unterorganisationen besteht.
Kennedy unter Terrorismus-Verdacht
Die TSA hatte es von Anfang an schwer Die anderen Dienste sträubten sich, weil sie ihre Geheimnisse weitergeben sollten, und bei den Passagieren machte sich die TSA ohnehin notorisch unbeliebt, weil die neuen Sicherheitsleute, die "Screener", ihnen hautnah auf den Leib rücken mussten: Laptop in die große Plastikwanne, Metallgegenstände in die kleine, Tasche aufs Laufband, Gürtel runter, Schuhe aus, Arme hoch, Beine breit. Viele Passagiere beklagten das angeblich rüde Verhalten der Screener, von denen einige sogar geklaut haben sollen. Bürgerrechtler warfen der TSA vor, Terrorverdächtige eher nach Hautfarbe für einen zweiten Check auszuwählen als nach tatsächlichen Verdachtsmomenten, und das Computerprogramm CAPPS II, das jeden Passagier auf obskuren Wegen einer Gefahrenstufe zuordnet, wurde wegen Datenschutzproblemen und sichtlichen Macken kritisiert. Selbst der ehrwürdige Senator Edward Kennedy aus Massachusetts wurde einmal als Terrorverdächtiger aufgehalten.
Zwei Millionen Menschen an die Wäsche
Bostons TSA-Chef Naccara macht gar nicht erst den Versuch, das Image der TSA schön zu reden. Man habe Fehler gemacht. Aber das sei doch nicht überraschend. Im Gegenteil. Damit sei zu rechnen gewesen, nachdem man eine völlig neue Behörde aus dem Boden habe stampfen müssen. Und schließlich gehe man jeden Tag im ganzen Land knapp zwei Millionen Menschen an die Wäsche. Dass es da Probleme gebe, sei selbstverständlich, sagt Naccara. In Boston sei für die TSA ohnehin fast alles vorbildlich gelaufen. Die 8.30-Runde habe auch hier geholfen - und am Image arbeite man jetzt. Es sei die Wut über die Anschläge, die in dabei antreibe, verrät Naccara. Die Wut über das Unfassbare.
Kaum Erinnerung an die Katastrophe
Dieses Jahr jährt sich dieses "Unfassbare" zum fünften Mal. Schlendert oder eilt man ein paar Wochen vor diesem Jahrestag durch jenen Flughafen, von dem die Terroristen abhoben, fällt auf, dass kaum gezielt an die Anschläge erinnert wird. Am Eingang zur Schalterhalle des Terminals C hängt fast versteckt ein "Quilt", ein amerikanischer Flickenteppich, auf dessen Flicken etwa die Freiheitsstatue gestickt ist. Daneben hängt ein Gedicht zu Ehren der Helden des 11. September. Am Schalter der United Airlines, direkt über den Plastikbeuteln für das große Gepäck, erinnert jedoch lediglich ein Poster an eine Stewardess und einen Steward, die bei den Anschlägen ums Leben kamen. Daneben hängt eine US-Flagge. Bei American Airlines sieht man nichts, zumindest nicht auf den ersten Blick. Selbst in der Kapelle "Our Lady of the Airways Chapel" auf der Ebene der Gepäckausgabe erinnern Plaketten zwar an die Opfer vorheriger Flugzeug-Unglücke. Ein Andenken an die Opfer des 11. September habe ich zumindest jedoch nicht gefunden. Die Angehörigen der Opfer würden auf ein Denkmal am Flughafen dringen, heißt es bei Massport. Die Begeisterung, gerade der Fluglinien, soll sich in Grenzen halten. Zu sehr will man die Passagiere einfach nicht daran erinnern, was passieren könnte, sobald sie das Flugzeug bestiegen haben. Dabei geben die jüngsten Entwicklungen Anlass zur Hoffnung. Die Passagierzahlen liegen dieses Jahr über dem Niveau des Jahres 2000.
"Das hier ist ein 9/11-Flughafen"
Aber irgendwie scheinen die Geister, die Amerika seit jenem Tag heimsuchen, gerade den Flughafen Logan nicht zu verlassen. Auch heute seien die Menschen hier nervös, sagt ein Massport-Mitarbeiter. "Niemand will einen Fehler machen. Nicht die Polizei, nicht die Screener, nicht die Geheimdienstleute. Es darf einfach nicht noch einmal geschehen." Sicherheitschef Treece sagt, vor dem 11. September 2001 habe es keine Warnung gegeben. "Das wird auch das nächste Mal nicht der Fall sein." Der Polizist, der mir am Montagfrüh das Fotografieren verbietet, sagt: "Dies hier ist ein 9/11-Flughafen. Sie müssen verstehen, dass wir hier besonders misstrauisch sind." Dann spricht ihm plötzlich irgendjemand in das Funkgerät, das er an der Schulter trägt. Er presst den Hörer an sein Ohr, nuschelt ein paar Worte, dreht sich um und eilt schnell davon.