Georgette Nahas kniet vor dem Altar in einer katholischen Kirche in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Sie betet zu Gott um Schutz für die christliche Minderheit im Nahen Osten. Vor allem im benachbarten Syrien: "Die Zeiten sind hart für uns Christen im Nahen Osten", meint die 70-Jährige und zündet Kerzen an. Gott solle ihre Söhne und Enkel schützen und ihnen eine bessere Zukunft in dieser gefährlichen Region gewähren. Vom bevorstehenden Besuch von Papst Benedikt XVI. im Libanon erhoffen sich viele Christen, dass er ihre Ängste anspricht.
Georgette befürchtet vor allem, dass der politische Islam nach dem Fall mehrerer Langzeitmachthaber während des Arabischen Frühlings stärker wird. Die radikale Auslegung des Islam durch manche islamistische Gruppen lasse keinen Raum für Andersgläubige, meinen viele Christen.
Vor allem der Konflikt in Syrien verunsichert viele Christen zusehends. Hana stammt aus der nordsyrischen Provinz Aleppo. Vor einer Woche flüchtete die Christin in den Libanon. Ihren vollen Namen möchte sie nicht nennen. Die christliche Gemeinde in Aleppo sei in Gefahr, erzählt sie. Einige Kirchen seien bereits zerstört worden. "Als der Aufstand begann, ging es um Demokratie. Nun haben sich die Parolen geändert und wir merken, dass Extremisten zunehmend die Revolution übernehmen." Anfangs forderten die Aufständischen Freiheit und Koexistenz. Nun würden die Christen mehr und mehr zur Zielscheibe, sagt sie.
Viele Christen fürchten nach Ansicht des Analysten Nicolas Noa den Zusammenbruch der Regime, die oft ihre schützende Hand über Minderheiten gehalten haben. "Wenn Islamisten die Macht übernehmen, erhöht sich der Druck auf Christen", erklärt er. Viele verließen deswegen die Region oder überlegten, es zu tun. Ein Beispiel sei die wachsende Besorgnis innerhalb der koptischen Gemeinde in Ägypten, seit dort die Moslembrüder und die radikalen Salafisten an den Hebeln der Macht sitzen. Als es im August zu Zusammenstößen zwischen Kopten und Muslimen kam, dauerte es mehrere Tage, bis Präsident Mohammed Mursi - bis zum Amtsantritt führendes Mitglied der Muslimbruderschaft - die Gewalt verurteilte.
Die Ängste der Christen seien noch niemals so groß gewesen, sagt der Politologe Hilal Khasan von der Amerikanischen Universität Beirut. "Christliche Gemeinschaften im gesamten Nahen Osten fürchten um ihre Zukunft in der Region." Libanons Christen befürchten, dass die Ereignisse in den Nachbarländern sie irgendwann ihrer religiösen Freiheiten berauben.
"Es ist kein Wunder, dass die katholische Kirche um die libanesischen Christen besorgt ist. Sie leben im Zentrum dieses Aufruhrs", meint Talal Salman, Chefredakteur der Tageszeitung "As-Safir". Der Papst werde bei seinem Besuch die Ängste des Vatikans vor einem Exodus der Christen aus der Region ansprechen, meint Salman.
"Wir müssen einfach Angst haben, wenn wir uns die Beispiele um uns herum ansehen", sagt George Hadad, ein Lehrer an einer christlichen Grundschule. "Die Christen in Mossul im Irak wurden von den Fundamentalisten aus ihrem Heimatland durch tägliche Drohungen und Autobomben vertrieben. Heute werden syrische Christen angegriffen."