Am Tag danach gleicht die Stadt einem Kriegsschauplatz. Im Zentrum stehen ausgebrannte Fahrzeuge am Straßenrand. Rund 40 Gebäude im Stadtzentrum sind ausgebrannt, aus manchen steigt noch immer der Rauch auf. Auf den Straßen liegen Patronenhülsen.
Zwei Monate haben die Rothemden im Zentrum von Bangkok campiert. Jetzt ist die Demonstration vorbei. Doch es wird noch Monate dauern, die Menschen in Thailand sich von dem Schock der letzten Tage erholen - und genau so geht es mir. Nie zuvor hatte ich solche Angst.
Seit Wochen verfolge ich die Demonstrationen in Bangkok. Wir haben oft damit gerechnet, dass die Armee das Lager der Rothemden räumen wird, und wir haben immer mit dem Schlimmsten gerechnet. Dann kam gestern Morgen um kurz nach sieben Uhr der Anruf: Es ist soweit.
Eine Festung im wichtigsten Geschäftsviertel
Im Morgengrauen stürmten hunderte Soldaten mit gepanzerten Fahrzeugen die Barrikaden aus Bambusspeeren und Autoreifen, hinter denen sich tausende Demonstranten verschanzt hatten. In den vergangenen Monaten hatten die Rothemden dort mitten in Bangkoks wichtigstem Geschäftsviertel eine regelrechte Festung aufgebaut, eine Zeltstadt mit eigenen Restaurants, Radiosendern, Krankenstationen und Müllabfuhr.
Was passiert in Thailand?
Das Königreich Thailand versinkt in Anarchie: Mitte März begann die Konfrontation von Regierungsgegnern (Rothemden) und Sicherheitskräften in Bangkok. Rund 70 Menschen sind ums Leben gekostet. Viele der Rothemden kommen aus dem armen Norden und Nordosten des Landes und unterstützen den 2006 gestürzten Regierungschef Thaksin. Zusammen mit dem Oppositionsbündnis verlangen sie Neuwahlen. Ihre Gegner sind an gelben Hemden (der Farbe des Königshauses) zu erkennen. Die Königstreuen und Geschäftsleute gehören der städtischen Ober- und Mittelschicht an. Sie waren maßgeblich verantwortlich dafür, dass Thaksin entmachtet wurde.
Als ich die Bühne im Zentrum des Demonstrationen erreiche, erfahre ich per Handy, dass am Südende des Lagers bereits heftig gekämpft wird. Motorradtaxis kommen mit Verletzten aus der Kampfzone. Trotzdem herrscht hier eine ganz sonderbare Stimmung. Auf der Bühne wird Musik gespielt. Die Menschen tanzen und lächeln, in ihren Gesichtern keine Spur von Angst. Jemand fragt: "Möchtest du ein Stück Schokoladenkuchen?" Die Thailänder lassen sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen.
Mit zwei Kollegen fahre ich zur Südseite des Lagers, vorbei an Luxushotels und Shopping Malls, die seit Wochen mit Brettern verrammelt sind. Die Schüsse werden lauter. Die Rothemden haben sich mit Zwillen, Silvesterraketen und Knüppeln bewaffnet. Sie wirken entschlossen und wollen nicht aufgeben. Das Militär kämpft mit Kriegswaffen. Wir sehen nur eine schwarze Rauchwolke und die Umrisse von Soldaten, die gebückt über die Straße rennen. Weiter vorne wird der italienische Fotograf Fabio Polenghi erschossen
Die Bahn fährt schon seit Tagen nicht mehr
Über das Gelände läuft die Hochbahntrasse. Die Bahn fährt schon seit Tagen nicht mehr. Doch plötzlich tauchen in der Entfernung über unseren Köpfen schwarze Schatten auf. Jemand ruft "Scharfschützen". Wir laufen um unser Leben. In der Wand neben mir schlägt eine Kugel ein, vielleicht zwei Meter entfernt. Ich beschließe, zur Bühne zurückzukehren. Das Handynetz funktioniert nicht mehr.
Doch es gibt das Gerücht, dass in der ganzen Stadt Gebäude brennen. Gegen 11 Uhr nehmen die Rothemden einen Soldaten gefangen. Die wütenden Demonstranten prügeln auf ihn ein. Er trägt nur noch eine blaue Unterhose und blutet am Kopf. Seine Hände sind gefesselt. Der Sicherheitsdienst der Roten bringt ihn in Sicherheit und schirmt ihn an. Seine Wunden werden versorgt.
Von der Bühne spielt Thai-Pop, die Menschen versuchen sich Mut zu machen. Die Bühne ist das Herz des Lagers, mitten auf einer Kreuzung. Inzwischen wird aus allen Richtungen geschossen. Die Barrikaden brennen. Es gibt keinen Ausweg mehr. Ein Mönch segnet die Schwarzhemden, die stets gewaltbereit wirkenden Kämpfer im roten Lager. Mit einer Schere schneidet er kleine Stoffstücke von seiner safranfarbenen Kutte und verteilt sie an die Kämpfer. Doch die meisten Rothemden sind friedlich und unbewaffnet. Immer wieder greifen Menschen meine Hand und danken mir, dass ich hier bin. "Tell the UN to come and help us, please tell Obama to come here", sagt eine ältere Frau - Bitte sag den Vereinten Nationen, dass sie herkommen und uns helfen sollen, bitte sag Obama, dass er herkommen soll.
Die Anführer fühlen sich nicht mehr sicher
Um 13.30 Uhr geht die Musik aus. Die Anführer der Roten betreten die Bühne. Ein Ring von Demonstranten schirmt sie ab. Seit der rote Sicherheitschef Sae Deng von Scharfschützen des Militärs erschossen wurde, fühlen sich die Anführer nicht mehr sicher. "Es sind genug Menschen gestorben. Wir werden uns ergeben und wir werden uns der Polizei stellen", ruft Nattawut Saikua, einer der Anführer. Es ist ein bewegender Moment. Die Menge brüllt. Viele haben Tränen in den Augen. Eine Mutter trägt ihren Sohn auf den Schultern, vielleicht drei Jahre alt. Er streckt die rechte Faust in den Himmel. Sie fühlten sich so nah am Ziel. Jetzt scheinen sie auf einmal alles verloren zu haben.
Dann bricht das Chaos aus. Bei vielen schlägt der Frust in Wut um. Dutzende Schwarzhemden randalieren, werfen Steine und brennende Müllbeutel in die Schaufenster der Einkaufszentren. Tausende strömen in den benachbarten Tempel. Der Tempel gilt als letzte sichere Zone. Stunden später gelingt uns die Flucht in eine Polizeistation. Und am Abend, als die Sonne schließlich untergeht, bringt uns die Polizei an der Armee vorbei aus der Kampfzone. Im Tempel werden am nächsten Morgen neun Leichen gefunden.