Gewalt in der Ukraine "Gehen direkt ins Herz": Trauma-Experte erklärt, wie stark Kinder unter Kriegs-Bildern leiden

Ukraine-Krieg: Traumaexperte gibt Tipps zur Verarbeitung der Kriegsbilder
Ukraine-Krieg: Traumaexperte gibt Tipps zur Verarbeitung der Kriegsbilder
Sehen Sie im Video: "Gehen direkt ins Herz" – Trauma-Experte erklärt, wie stark Kinder unter Kriegs-Bildern leiden.












Nicht nur mich als Journalistin, sondern auch viele andere Menschen beschäftigen gerade die Nachrichten zum Krieg in der Ukraine. Herr Dr. Baer. Sie sind Traumatherapeut und haben schon mit vielen traumatisierten Menschen zusammen gearbeitet.
Welchen Einfluss hat die Berichterstattung über schreckliche Ereignisse auf uns?


Einen großen Einfluss. Es gibt viele, viele Menschen, die davon erschüttert sind, die berührt sind, die Mitgefühl haben, ich auch. Und die sich auch ein Stück ohnmächtig und hilflos fühlen, weil sie da wenig dran ändern können und die dann demonstrieren gehen, Hilfe sammeln, Geld sammeln usw. So etwas tun. Ja, Bilder rutschen gleich ins Eingemachte. Noch mehr als Worte. So, und die Kinder können die kaum loswerden. Die können verblassen im Laufe der Zeit, aber sie gehen direkt ins Herz. Und das ist etwas, was man nicht unterschätzen sollte. 


Was genau passiert, wenn wir mit so einer Berichterstattung konfrontiert sind?
Natürlich ruft das alles, was mit dem Schrecken verbunden ist, hervor. Angst, Hilflosigkeit, Einsamkeit, Erstarrung. Also wir Menschen haben in der Amygdala, Mandelkern, einen besonderen Teil unseres Gehirns, ein Organ, so klein wie eine kleine Mandel. Das passt bei jeder Information auf, ob das existenziell bedrohlich sein kann oder nicht. Und wenn etwas existenziell bedrohlich ist, dann kämpfen wir vielleicht oder wollen kämpfen, regen uns auf. Das läuft ganz automatisch. Das kann ich nicht durch den Willen bewusst steuern, sondern da wird Adrenalin ausgeschüttet. Das Blut geht an die lebenswichtigen Organe und von der Peripherie weg. Also kämpfen. Das ist eine spontane Reaktion. Die andere ist vielleicht Fliehen oder frühes Erstarren. Ja, das war früher, als wir von Säbelzahntiger angegriffen wurden. Kämpfen, fliehen oder erstarren. Oft verbindet sich das. Äußerlich erstarren viele und innerlich tobt der Sturm und die hohe Erregung. Also das ist dann bei jedem Menschen ein bisschen verschieden, aber diese Grund-Reaktionen sind gar nicht zu steuern. Wenn es solche Bilder gibt und wenn unser Organismus sagt oder ist etwas lebensbedrohlich?.


Was machen die aktuellen Nachrichten mit traumatisierten Menschen, die beispielsweise schon selber einen Krieg erlebt haben?
Da rührt das Neue das Alte auf, das reißt das Alte wieder auf. Und die erleben, erinnern sich nicht an frühere Geschehnisse, sondern sie erleben sie so, als wäre das jetzt, als wären sie jetzt wieder auf der Flucht oder in der Not oder ohnmächtig. Das Trauma-Gedächtnis hat eine Besonderheit Es arbeitet mit Ähnlichkeiten. Es muss hier etwas nicht genauso sein, aber so ähnlich. So, und dann ist draußen ein Sommergewitter oder Frühlingsgewitter und es hört sich an wie Bomben oder wie Artilleriebeschuss. Es ist so ähnlich. Und die alten Menschen bekommen Panik und wollen sich verstecken oder in den Bunker oder in den Keller gehen. Und das andere. Die andere Besonderheit des Trauma-Gedächtnisses besteht darin, dass wir uns nicht an Daten, Fakten, Reihenfolgen erinnern, so wie Sie sich vielleicht an ihren letzten Urlaub erinnern oder irgendeine andere Situation, sondern das Trauma-Gedächtnis wirkt so, als wäre es jetzt hier und jetzt da. Das, was bedrohlich ist, so die Menschen fühlen sich im Krieg und da hilft es auch nicht, an den Verstand zu appellieren und zu sagen Ist doch so weit weg, oder ist das schon so lange her, deine Erlebnisse, sondern es ist jetzt da. 
Was können wir tun, wenn uns die Nachrichten belasten und nicht mehr schlafen lassen? 
Spazieren gehen, en Garten umgraben, wenn der nicht gefroren ist, einen Kuchen backen, auch was genießen. Wir haben das Privileg hier bei uns jetzt in Deutschland, dass wir keine Bomben bekommen. Aber wir können mitfühlen. Wir können aber auch dieses Privileg nutzen. Das sollten wir auch und kein schlechtes Gewissen dabei haben. Also sich bewegen, körperlich etwas zu tun und vor allen Dingen auch mit anderen Menschen zu reden. Nicht jetzt die Horrorbilder auszutauschen. So, wer hat das Schlimmste, sondern auch versuchen zu entlasten. Viele haben Scham davor, ihre Angst auszudrücken oder ihre Angst zu benennen. Männer kennen keine Angst, sowieso nicht, und können keine Tränen und Winnetou auch nicht und so weiter. Aber wir sollten das möglichst viel mit anderen teilen, weil diese Dauer-Bombardierung nicht nur der Bomben, sondern auch der Bilder, die macht Druck und Gegendruck, das ist mein Leitsatz. Bei druck hilft drücken. Ja, dann gehe ich zu meiner Frau und sag drück mich und umgekehrt und auch ja, sich immer wieder zu vergewissern, welchen Schutz habe ich, welche Sicherheit habe ich, welche Geborgenheit habe ich, wo ist Schutz, wo ist Wärme, wo ist Vertrautheit? Also sich diese Qualitäten auch immer wieder anzueignen und auch danach gezielt zu suchen. 


An welchem Punkt braucht es vielleicht sogar eine Therapie zur Verarbeitung?
Das einzige Kriterium für die Notwendigkeit einer Therapie ist das Leiden. Sind keine objektiv erscheinenden diagnostischen Merkmale oder so, sondern ist das Leiden so, dass wir alle ein bisschen mitleiden oder mehr oder weniger haben wir schon besprochen. Das ist Fakt. Und wenn wir dieses Leiden reduzieren können, durch Freunde, durch Kollegen, durch Partner, Partnerin, wie auch immer, dann ist das gut. Aber wenn das nicht reicht, wenn das Leiden bleibt, wenn uns das verfolgt. Wenn uns das in unserer Lebensqualität einschränkt. Wenn die Ängste unser Leben bestimmen, drohen. Und wenn wir so etwas, wenn das Leiden passiv wird, dann kann man sich eine Therapie gönnen. Ich sage wirklich gönnen. Es ist kein Makel, sondern das ist ein Weg, besser zu leben, glücklicher zu sein. Warum nicht? 


Würden Sie so weit gehen und die Berichterstattung der Medien kritisieren, die viele schreckliche Bilder und Videos zeigen?
Also ich glaube weniger ist besser. Ja, weniger ist besser so. Die Rakete und der Panzer ist schlimm. Noch schlimmer finde ich das weinende Kind und die weinende Frau im Keller von Kiew oder die schwangere Frau, die in Mariupol herausgetragen wurde aus dem Krankenhaus, die jetzt gestorben ist, wie ich vorhin gelesen habe. Also das sind dann so Einzelpersonen. Wir Menschen haben ja alle ein Mitgefühl. Das ist ja auch toll so. Wenn wir, weil wir Mitgefühl haben, spüren wir auch den Schmerz der anderen. Das heißt, wir hauen nicht gleich los, wer weiß. Ja, wir sind vorsichtig. Wir können mitfühlen und wir können die Freude mitfühlen. Lachen steckt an. Aber auch das Weinen steckt an. Und auch die Verzweiflung steckt an. Und wenn ich konkrete Personen gerade die hilflos sind, mitbekomme und deren Verzweiflung merke, dann ist das so eine synchrone Resonanz. Schwingt das in mir mit? Über mein Mitgefühl, ob das jetzt Spiegelneuronen sind oder sonst was, das sei hier dahingestellt. Aber es passiert. Und davon sollte es weniger geben. 











Udo Baer arbeitet als Therapeut mit traumatisierten Menschen. Im stern-Interview erklärt er, inwiefern die Kriegsberichterstattung Menschen beeinflusst und alte Kriegs-Traumata hochholt. Außerdem hat der Therapeut Tipps, wie man verstörende Kriegsbilder wieder los wird.