Eines der letzten Poster des Diktators, der ein ganzes Land opfert, um sich selbst zu retten, zeigte den gelernten Augenarzt in Jeans und T-Shirt, wie er auf den Boden kniet, um ein Bäumchen zu pflanzen. Der fürsorgliche Präsident, so sah sich Baschar al Assad, ein paar Monate vor dem Beginn des Arabischen Frühlings. Viereinhalb Jahre später hat sich der Diktator in Damaskus verschanzt, mindesten 250.000 Menschen sind tot, Millionen sind auf der Flucht, Syrien ist kaputtgeschossen, und er will noch immer nicht gehen.
Was passierte, wenn Assad ginge?
Wenn Baschar al Assad aufgäbe, würde dies Syrien weniger blutig machen, das ist sicher. Denn keiner hat in diesem Krieg so viele Menschen töten lassen wie er und sein Regime. International geächtet sind die von ihm eingesetzten Waffen - vor allem die Fassbomben, "al Baramil" genannt, mit Sprengstoff, Öl oder Nägeln gefüllte Fässer, die aus der Luft abgeworfen werden. Assad ist das Symbol, das zu Fall gebracht werden muss, um eine Grundlage für ein neues Land zu schaffen. Den Krieg in Syrien beenden aber würde eine Flucht Assads vermutlich nicht.
Wer trägt die Verantwortung?
Denn längst ist das Land nur noch Kulisse für einen Krieg ohne Plan, ohne Ansprechpartner und ohne Ziel. Allein schon den Überblick zu behalten, wer in Syrien tötet, ist kaum noch möglich: Es gibt die Dschihadisten des Islamischen Staats und von al Kaida, die Kämpfer der schiitischen Hisbollah ("Partei Gottes"), die Freie Syrische Armee, die Kurden und unzählige Bataillone, die sich "Soldaten Gottes", "Soldaten der al Aksa" oder "Soldaten der Sunna" nennen. Mit all diesen Gruppen kann man nicht wirklich reden, geschweige denn wollen diese überhaupt verhandeln.
Was machen die Amerikaner?
Die syrische Opposition, deren Mitglieder überwiegend in Istanbul leben, ist zerstritten und will überhaupt erst Gespräche führen, wenn Assad weg ist. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz hingegen forderte erst vergangene Woche, man solle Assad im Kampf gegen den IS einbinden. Das wiederum wollen die Amerikaner auf jeden Fall vermeiden. So geht das im Prinzip seit viereinhalb Jahren, und nichts ist passiert. Außer, dass alles noch komplizierter wurde.
Was wollen die Russen?
2012 noch war Russland, Verbündeter des Assad-Regimes, bereit, den Diktator fallenzulassen. Die Chance wurde verpasst. Nun schreitet Wladimir Putin zur Tat und schickt Waffen an den Freund in Damaskus. Arabische Analysten glauben, dass Russland in Syrien bislang die Politik des "militärischen Gleichgewichts" verfolgt habe: Es lieferte nur so viel an Waffen und Knowhow, dass sich das syrische Regime wehren konnte. Nun aber würde Russland mit dieser Regel brechen und das Kräftegleichgewicht im Konflikt verschieben wollen - zugunsten Assads. Denn Russland habe sich mit dem Iran militärisch und mit Ägypten politisch darüber verständigt.
Was sagen die Europäer?
Russland sei derzeit der "größte Bewacher der Terroristen", sagt Nabil Rashwan, ein ägyptischer Russland-Experte. Putin hat Angst vor tschetschenischen Terroristen, die für den IS kämpfen und auf Youtube-Videos zu sehen sind, wie sie Kindern in IS-Terrorcamps das Töten beibringen. Aber auch für die Europäer, behauptet der Experte, käme es nicht ungelegen, dass sich Russland, wenn es darauf ankomme, um die Terroristen kümmere.
Wovor genau flüchten die Syrer?
Das syrische Regime versucht indes, möglichst viel Territorium zu beherrschen. Denn das erhöht die Macht in künftigen Verhandlungen. Assad will jedenfalls nicht aufgeben, doch gehen ihm langsam die Krieger aus. Assads Leute gehen deshalb in Damaskus seit Wochen von Haus zu Haus und suchen nach Männern, nach Soldaten für das Militär - auch ein Grund, warum viele aus Damaskus geflohen sind. Immer mal wieder wird auch eine Aufspaltung Syriens diskutiert - mit der Folge, dass Menschen, abhängig von ihrem Glauben und ihrer Herkunft, hin- und hergeschoben würden, was neue Konflikte und Kriege programmiert.
Was wird aus Assad?
Das offizielle Russland lässt derzeit ausrichten, dass das syrische Volk in einer Wahl darüber entscheiden soll, ob Assad bleiben soll. Ein Volk also, großteils fern des eigenen Landes, das sich derzeit auf Europa als Flüchtlinge verteilt. Wahrscheinlicher ist, dass Assad selbst irgendwann vor die Wahl gestellt wird: nach Russland auszuwandern oder in Syrien zu sterben.
Bomben und Terror vertreiben die Menschen aus syrischen Ruinenstädten. Sie fliehen vor allem vor Diktator Assad und nicht vor dem IS. stern-Reporter Steffen Gassel über die Frage, warum die Welt das Morden geschehen lässt - jetzt im neuen stern