Die venezolanische Regierung ist für Außenstehende in erster Linie eine Ein-Mann-Show. Deren Star heißt Hugo Chávez. Der 53-jährige Präsident ist immer für eine Überraschung gut, führt sein Land eigenwillig. Doch wohin genau, ist ungewiss. Die von Chávez ausgerufene "bolivarische Revolution" stockt. Das überrascht nicht, denn auf dem Weg zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts lässt sich der Comandante im Miraflores-Palast von Caracas weniger von kompetenten Beratern, mehr hingegen von Machterwägungen und spontanen Gefühlsausbrüchen leiten.
Berühmt-berüchtigt ist Chávez auf internationalem Parkett für seine Bulldozer-Rhetorik, die auch vor anderen Staats- und Regierungschefs nicht Halt macht. Nun musste nun Bundeskanzlerin Angela Merkel dran glauben. Die Kanzlerin hatte vor ihrer Südamerika-Reise in einem Interview gesagt, Chávez vertrete nicht den gesamten Kontinent. Eigentlich logisch. Nicht aus Sicht des venezolanischen Präsidenten. Der reagierte beleidigt und rückte die CDU-Chefin in seiner wöchentlichen Fernseh- und Radiosendung in die rechte Ecke, die "einst Hitler unterstützte."
Gegner nennen Chávez "Verrückten"
Bei immer mehr Landsleuten hinterlässt Chávez mit solchen verbalen Entgleisungen den Eindruck, ihm sei der Realitätssinn abgekommen. Gegner des Präsidenten - vom Taxifahrer bis zum Hochschulabsolventen - fassen sich kurz und nennen ihn "loco", einen "Verrückten".
"Ich frage mich, wann Chávez endlich anfängt, die Probleme in seinem Land zu lösen, anstatt ständig neue zu schaffen", sagt etwa Politikstudent Roberto S. Drei Viertel aller Venezolaner halten die Sicherheit für das dringlichste Problem des Landes. Seit Beginn der Amtszeit von Chávez ist die Kriminalität förmlich explodiert. Jedes Wochenende fallen allein in Caracas 40 bis 60 Menschen der Gewalt zum Opfer. "Doch bis heute hat die Regierung keine echte Politik dagegen vorgestellt", kritisiert der ehemalige Chef der venezolanischen Kriminalpolizei, Elisio Guzmán.
Ein anderes allgegenwärtiges Übel ist die Korruption. Chávez trat seine Amtszeit als Saubermann an, der mit der Bestechung von Amtsdienern aufräumen wollte. Bei der Absicht ist es geblieben. Ein Parlamentsabgeordneter legte vor einigen Tagen Dokumente vor, die zeigen sollen, dass sich selbst Familienangehörige des Präsidenten auf Kosten des Volkes bereichern.
Chávez streitet sich lieber
Auch sonst sieht es für Venezuela nicht rosig aus: Trotz Öl-Rekordeinnahmen sind die Staatsschulden gestiegen, die Auslandsinvestitionen auf das Niveau von Ländern wie El Salvador gefallen. In den Supermärkten sind viele Grundnahrungsmittel Mangelware. Eine Inflation von fast 30 Prozent frisst die Einkommen. Und was tut Chávez? Der streitet sich lieber mit den Regierungschefs nicht-revolutionärer Staaten oder unterstützt ideologisch auf gleicher Linie liegende Regierungen mit subventioniertem Billigöl.
Das soll nicht heißen, dass Chávez jenen politischen Riecher vollständig verloren hätte, den er in brenzligen Lagen seit seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl 1999 stets bewiesen hat. In den acht darauf folgenden Jahren gewann der Ex-Oberstleutnant alle Abstimmungen auf regionaler wie nationaler Ebene, überstand einen Putschversuch sowie ein Absetzungsreferendum. 2006 bestätigte ihn das Volk im Amt. Eine beeindruckende Karriere für den früheren Offizier, der in einfachsten Verhältnissen aufwuchs und 1992 als Anführer eines gescheiterten Putsches ins Gefängnis kam.
Auch heute verfügt der Präsident weiterhin über starken Rückhalt in der Bevölkerung. Je nachdem ob das Meinungsforschungsinstitut eher regierungsfreundlich oder kritisch gesinnt ist, kann er auf die Unterstützung von 40 bis knapp 70 Prozent der Wähler zählen. Vor allem die "Barrios", die Armensiedlungen, bleiben Chávez-Bastionen. Die sozial Schwachen stellen die relative Mehrheit in Venezuela. Sie haben nicht vergessen, dass der Präsident Gesundheits- und Bildungsprogramme in ihre Viertel gebracht hat.
Geduld der Anhängerschaft hat Grenzen
So ist das Regierungslager trotz seiner dürftigen Bilanz stärkste Kraft im Land. In die Mitgliederlisten der im März gegründeten neuen sozialistischen Einheitspartei PSUV trugen sich im Vorfeld fast sechs Millionen Menschen ein. Zum Vergleich: Venezuela hat 28 Millionen Einwohner. Geführt wird die neue Formation von, natürlich, Chávez höchstpersönlich.
Dass allerdings selbst die Geduld seiner Anhängerschaft Grenzen hat, bekam der Präsident im vergangenen Dezember zu spüren. Da scheiterte eine von ihm initiierte Verfassungsänderung. Für den Regierungsplan, der Chávez die unbegrenzte Wiederwahl erlaubt hätte, stimmten nur etwas über vier Millionen Wähler. Viele hunderttausende "Chávista" lehnten die neue Verfassung demzufolge ab.
Venezuela steht nun vor einem Scheideweg. Im November werden landesweit Gouverneure, Bürgermeister und Regionalparlamente bestimmt. Sollte sein Lager diese Wahlen verlieren, könnte das der Anfang vom Ende der Ära Chávez sein. Das hofft die Opposition, die erstmals wieder Morgenluft wittert und sogar gemeinsame Kandidaten aufstellen will. Sie weiß allerdings auch, dass die Amtszeit des Präsidenten bis Januar 2013 dauert. Viel Zeit für Chávez, um eine neue Revolution zu starten.