China Die SMS als Demokratie-Helfer

Von Ellen Deng, Peking
Per SMS informierten Bürger der südchinesischen Küstenstadt Xiamen einander über eine umweltschädliche Chemiefabrik, die vor ihrer Haustür gebaut werden soll. Ein Beispiel über die neue Rolle der öffentlichen Meinung in China - und über ihre Grenzen.

"Hast du die SMS bekommen?" So begrüßten sich Ende Mai die Bürger von Xiamen. Denn nach dem 25. Mai begann eine SMS unter den anderthalb Millionen Einwohnern zu kursieren: "Die Xianglu-Gruppe investiert in eine hochgiftige Chemiefabrik im Haicang-Distrist. Das ist wie das Entzünden einer Atombombe in Xiamen. Wir werden an Leukämie erkranken und missgebildete Kinder gebären. Wir wollen leben und wir wollen gesund sein!" Die Nachricht rief auch dazu auf, gelbe Seidengürtel als Zeichen des Protests zu tragen und sich lautstark gegen das Projekt auszusprechen.

Fabrik ist schlecht für die Umwelt - und gut fürs Stadtsäckel

Die geplante Tenglong Aromatic PX, so der Name der Fabrik, wurde 2005 von der Staatlichen Umweltbehörde genehmigt, gleich darauf wurde mit dem Bau begonnen. Er kostet die stattliche Summe von 10,8 Milliarden Yuan, umgerechnet etwa 1,8 Milliarden Euro. Die Fabrik soll jährlich 800.000 Tonnen Paraxylene (PX) produzieren, ein seltenes chemisches Material. "Es ist das größte Industrieprojekt, dass wir jemals in Xiamen aufbauten", sagt Vizebürgermeister Ding Guoyan. Es würde auch die größte PX-Fabrik der Erde sein. Sie soll 80 Milliarden Yuan (rund acht Milliarden Euro) zum Bruttosozialprodukt der Stadt beitragen - das entspricht einem Viertel ihres jetzigen Bruttosozialprodukts.

Als sie von dem Projekt hörte, war der Biologin Zhao Yufen von der chinesischen Akademie der Wissenschaften klar, dass die Fabrik eine große Gefahr für die Umwelt von Xiamen bedeutet, noch dazu, wo sie nur sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt. Vergleichbare PX-Fabriken in Korea und Taiwan sind gewöhnlich 70 Kilometer von dicht besiedelten Gebieten entfernt, sogar in China beträgt die Distanz sonst üblicherweise 20 Kilometer .

Proteste greifen aufs Internet über

Gleichzeitig zu den Infos über SMS breiteten sich Proteste im Internet aus. In populären Internet-Gemeinschaften von Xiamen wie "Kleiner Fisch" und dem öffentlichen BBS der Universität erreichten Einträge zur PX-Fabrik Zehntausende Klicks. "Schützt Xiamen" und "Gebt mir den blauen Himmel zurück", stand in den Überschriften. Lian Yue, ein bekannter Kolumnist aus Xiamen, schrieb in seinem Blog: "Unter extremen Umständen wie einem Krieg oder bei einem Terrorangriff, würde die Fabrik zu einem Geschenk für unsere Gegner und Terroristen werden." Der Schaden für die Menschen und für die Wirtschaft wäre dann größer als der mögliche Nutzen.

Manche Gedanken, die über SMS und Internet verbreitet werden, mögen falsch und übertrieben sein. Zhu Hongjun von der Zeitung "Südliches Wochenende" schrieb dazu: "Weil es keine zuverlässigen und vertrauenswürdigen Informationen durch die Regierung gibt, verbreiten sich auch absurde Gerüchte." So ist es sicherlich übertrieben zu sagen, "PX führt zu geistiger Verblödung". Aber die Bürger sind sauer darüber, dass sie nicht in die Entscheidung über ein solches Projekt einbezogen werden, das ihr Leben und ihre Gesundheit berührt.

Schon Bauarbeiten gelten als Bedrohung

Die eigenen Erfahrungen haben die Sorgen der Anwohner verstärkt. Der Xiamener Wu Weizhong verbrachte die Wochenenden im Frühjahr auf Segelbooten, weil er sich von den Bauarbeiten bedroht fühlt. "Wir wollten nicht in unserem stinkenden Apartment bleiben, das ist das Gleiche wie chronischer Selbstmord."

Am Morgen des 30. Mai musste Vizebürgermeister Ding Guoyan einen vorübergehenden Baustopp verkünden, um weitere Untersuchungen über die Umweltgefahren zuzulassen - und das, nachdem noch zwei Tage zuvor der Umweltchef der Stadt gesagt hatte, "das Projekt ist legal und wird fortgeführt". Die Umweltschützerin Zhao Yufen sieht in der Bauunterbrechung aber nur eine Hinhaltetaktik. Was aus der PX-Fabrik wird, ist jetzt wieder offen.

Bauunterbrechung und SMS-Zensur

Ist der vorübergehende Stopp auf die "Atomkraft" von SMS und Internet zurückzuführen? Sicher ist, dass einige Tage später Kommentare dazu auf der "Kleiner Fisch"-Website gelöscht wurden. Und SMS, in denen das Wort "PX" vorkommt, erreichen in Xiamen ihren Empfänger nicht mehr - offenbar mussten die Telefongesellschaften einen Filter einrichten, der solche Nachrichten blockiert.