Es ist schon zwei Monate her, seit ich als "Medienbotschafter China-Deutschland" ins norddeutsche Hamburg gekommen bin. Mein Anliegen: Ich wollte etwas darüber erfahren, wie die Deutschen die Chinesen sehen. Wie sie Menschen wie mich sehen.
In meinem Heimatland lese ich regelmäßig, was die deutschen Medien über China schreiben. Mir erscheint das manchmal zu emotional, bewusst negativ oder sogar schlicht falsch aufgeschrieben. Natürlich weiß ich, dass die deutschen Medien sich ihre kritische Haltung zugute halten. Aber ich frage mich: Was für ein Bild über China bleibt dabei bei den deutschen Lesern hängen?
Wie fremd China den meisten Deutschen ist, wird mir bewusst, als ein deutscher Student mir unser Rechtssystem erklären will. "Man wird einfach ins Gefängnis gebracht", sagt er. Ich hatte ihn einfach nur nach seinem Eindruck von China gefragt.
Die Autorin
Jiang Chuanxiu, 26, kommt aus China. Von 2002 bis 2006 hat sie an der Beijinger Fremdsprachenhochschule Germanistik studiert. Später arbeitete sie drei Jahre als Redakteurin beim regierungsnahen Internet-Informationsdienst China.org.cn. Im Rahmen des Programms "Medienbotschafter China-Deutschland" von der Robert Bosch Stiftung hospitiert sie zurzeit bei stern.de.
"Die chinesische Regierung muss die Menschenrechte beachten!"
Ich treffe einen CDU-Bundestagsabgeordneten. Er redet nicht lange um den heißen Brei herum: "Die chinesische Regierung muss die Menschenrechte beachten." Er gibt ein Beispiel: Minderjährige Kinder, die Tausende Kilometer in eine andere Provinz umziehen würden, um dort für weniger als einen Euro am Tag zu arbeiten. Er habe die Geschichte aus den deutschen Medien.
Doch es gibt ein anderes China. Das erwähnte Beispiel der umherziehenden Kinder ist, nur ein Beispiel, schon alt. Vor zehn Jahren verdienten die unausgebildeten Kräfte so wenig. Heute sind die Löhne im Vergleich zu den Entwicklungsländern immer noch vergleichbar niedrig - aber schon deutlich höher als noch vor einem Jahrzehnt.
Auch wenn es hier manchmal anders rüberkommt: Auch in China gibt es eine neunjährige Schulpflicht sowie ein Schutzgesetz für Minderjährige. Vielfach liegt es nicht an der Regierung, sondern an den Eltern, wenn Kinder arbeiten, statt eine Schule zu besuchen - das trifft vor allem die Töchter. Ich erinnere mich, wie mein Vater vor zehn Jahren versuchte, einen Mitarbeiter zu überzeugen, seine drei Töchter in die Schule zu schicken. "Nein", sagte der, und blieb stur und unbeweglich. "Dafür verschwende ich nur Geld. Sie werden bald Frauen von anderen Familien sein. Jetzt können sie uns bei der Hausarbeit helfen."
Das ist nicht das ganze Bild von China
Das sind Realitäten, aber das ist nicht das ganze, das vollständige Bild von China. Bei uns ist es zwar nicht üblich, dass Eltern ihre Kinder nicht in die Schule schicken mögen. Aber das sind Ausnahmefälle, die vor allem in den relativ armen, ländlichen Gebieten vorkommen. Das wird sich jedoch weiter verändern, je mehr sich die Wirtschaft entwickelt - und damit die Gesellschaft weiter transformiert.
Tatsächlich legen schon heute die meisten chinesischen Eltern großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder. Viele meiner Mitschüler aus meinem Heimatdorf haben an Universitäten studiert, während ihre Eltern nur die Grundschule besucht haben oder sogar Analphabeten sind. Es gibt einen Fortschritt! Warum wird das nicht mal positiv in Deutschland beschrieben?
Doch, klar: Die Chinesen haben noch nicht so viel erreicht wie die Deutschen. Auch wenn unser Bruttoinlandsprodukt etwas höher als das deutsche ist, verdiene ich persönlich nur ein Zwanzigstel so viel wie meine deutschen Kollegen. Die chinesischen Arbeitgeber würden es sich überhaupt nicht leisten können, einen Lohn von, sagen wir mal, zehn Euro zu zahlen. Natürlich träume ich auch davon, einmal so viel in der Stunde zu verdienen. Aber das ist gegenwärtig nicht möglich. Aber die Entwicklung, die ist da.