Nach einem Schuhwurf auf den chinesischen Regierungschefs Wen Jiabao während seines Besuchs in Cambridge hat die britische Polizei den Täter offiziell wegen Störung der öffentlichen Ordnung beschuldigt. Der 27-Jährige solle am Dienstag kommender Woche einem Richter vorgeführt werden, sagte eine Polizeisprecherin.
Während einer Rede Wens vor etwa 500 Zuhörern in der renommierten britischen Universität von Cambridge war der Mann aufgestanden und hatte einen Turnschuh in Richtung des Ministerpräsidenten geworfen. Dabei rief er: "Das ist ein Skandal. Wie könnt ihr den Lügen dieses Diktators zuhören?" Der Schuh verfehlte Wen um etwa einen Meter.
Der Schuhwerfer hatte sich nach seiner Aktion widerstandslos festnehmen lassen. Nach Angaben der Polizei sprach er Englisch mit einem europäischen Akzent. Medien wollen einen deutschen Akzent erkannt haben.
Wen verurteilte den Angriff als "verachtenswertes Verhalten", das der Freundschaft zwischen China und Großbritannien nicht im Wege stehen könne. Das Vereinigte Königreich war die letzte Station von Wens Europareise, die ihn auch nach Deutschland geführt hatte.
Das chinesische Staatsfernsehen hatte Wens Rede in Cambridge übertragen, brach die Übertragung aber während der Protestaktion abrupt ab. Auch die chinesischen Medien vom Dienstag erwähnten den Vorfall mit keinem Wort. Einträge im Internet zu dem Thema wurden offenbar rasch gelöscht. Bei der populärsten chinesischen Suchmaschine, Baidu, gab es keinen Hinweis auf den Zwischenfall.
Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, Großbritannien habe wegen eines "Zwischenfalls", den China scharf verurteilt habe, um Entschuldigung gebeten. Was der "Zwischenfall" war, wurde aber nicht gesagt. Im staatlichen Fernsehen CCTV war unspezifisch von einer "Störung" die Rede - auch hier ohne Erklärung.
In der Übertragung der Rede blieb die Kamera auf Wen fixiert, nur das Geräusch des auf die Bühne fallenden Schuhs konnte vernommen werden. Wen ließ sich durch den Vorfall nicht weiter aus der Ruhe bringen. Nach einer Pause von nur wenigen Sekunden setzte er seine Rede fort. Einer seiner Mitarbeiter betrat ruhig die Bühne, sammelte den grauen Sportschuh auf und entfernte ihn.
Eine Google-Suche nach dem Vorfall ergab einen Link zum Forum Tianya, einem der populärsten in China. Dort hatte ein Nutzer gefragt, was bei der Rede in Cambridge passiert war. Der Inhalt war aber am Dienstag schon gelöscht, Klicks auf den Link gingen ins Leere.
China kontrolliert das Internet restriktiv. Wie in allen anderen Medien des Landes werden Inhalte zensiert, die von Regierung oder Kommunistischer Partei als kritisch betrachtet werden. Selbst bei der Rede Barack Obamas zur Amtseinführung als US-Präsident wurden unliebsame Passagen einfach rausgestrichen.
Der Vorfall erinnert an den Besuch des früheren Bushs in Bagdad, der dort im Dezember von einem Reporter während einer Pressekonferenz mit einem Schuh beworfen wurde. Der Journalist Mutadhar al Seidi wartet derzeit in Untersuchungshaft in Bagdad auf den Beginn seines Prozesses wegen eines Angriffs auf einen ausländischen Staatschef.