Entschuldigung, der nachfolgende Text ist paradox.
Einerseits kritisiert er, in welcher Qualität, vor allem aber in welcher Intensität wir, "die Medien", über Elon Musk berichten. Andererseits macht er natürlich genau das. Dieser Widerspruch lässt sich ohne bequeme Doppelmoral nicht auflösen.
Trotzdem. Einen Versuch ist es wert.

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Kniefall in Butler
Wenn der ehemalige und womöglich nächste Präsident der größten Volkswirtschaft der Welt in Versalien an den Grundfesten der Demokratie sägt, ist das wichtig – in den allermeisten Fällen. Wenn ein Unternehmer das Recht auf eigene Meinung mit dem Recht auf eigene Fakten verwechselt, ist das nicht wichtig – in den allermeisten Fällen. Ausnahmen gibt es freilich immer.
Wie am Samstag. Da kam nämlich beides zusammen. Im unfreiwillig berühmten Städtchen Butler, im politisch wackeligen Bundesstaat Pennsylvania, trat, ach was, hüpfte der Tesla-, SpaceX und X-Chef wie ein Sechsjähriger auf Traubenzucker an die Seite seines neuen besten Freundes Donald Trump. Dass unter dem Gewicht von so viel geballtem Ego die Bühne hielt – ein beeindruckendes Beispiel amerikanischer Ingenieurskunst. Haltloser fiel dann allerdings Musks sechsminütiger Wortbeitrag aus. "Die andere Seite will euch das Recht zur freien Meinungsäußerung wegnehmen. Sie wollen euch das Recht, Waffen zu tragen, wegnehmen. Sie wollen im Grunde euer Wahlrecht wegnehmen", behauptete er. Kleiner hatte er es offenbar nicht. Mal wieder.
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Wie (nicht) umgehen mit Elon Musk?
Wer verstehen will, was Elon Musk nicht versteht, woher er seine "Informationen" nimmt, der braucht nicht lange suchen. Am Sonntag teilte er einen Screenshot des X-Nutzers "DogeDesigner" (mutmaßlich sein eigener Zweitaccount). Darauf zu sehen: Die Appstore-Charts in der Kategorie "Nachrichten". X belegte demnach den ersten Platz – vor der "New York Times", dem "Wall Street Journal" und der "Washington Post". "Die Wahrheit wird euch frei machen", predigte der Glasfasermessias dazu. 280-Zeichen-Hölle und Pulitzer-Journalismus gleichzusetzen – als würde ein Vater im Wachsmalgekrakel seines Sprösslings einen Rembrandt sehen.
Twitter war immer schon mitunter Müllhalde für alles Halbdurchdachte. Unter Musks Herrschaft ist die Plattform endgültig zum Schwarzen Brett des Schwachsinns verkommen. Der Chef selbst ist das personifizierte "Das muss stimmen, das hab' ich im Internet gelesen". Als Unternehmer ist Elon Musk sicher eine Ausnahmeerscheinung, mindestens ein Pionier, vielleicht sogar Genie. Abseits davon ist er bloß ein Schwurbler im Rampenlicht. Mehr nicht.
Ein ganz gewöhnlicher Troll
Wenn der immer mal wieder reichste dem schon einmal mächtigsten Menschen des Planeten vor Abertausenden johlenden Jüngern in Gottesdienstatmosphäre den Hof macht, müssen Medien davon berichten – wie über den jüngsten Auftritt in Butler. Da geht es nicht um Sympathie, sondern um Relevanz. Nur hat Musk die, wenn er nicht gerade in seiner Rolle als Techgigant agiert, ziemlich selten. Es geht auch darum, der Hoffnung auf schnelle Klicks zu widerstehen, die die bloße Erwähnung seines Namens verspricht – selbst bei den abwegigsten Behauptungen.
Wenn ein Wutbürger aus einem Hildesheimer Vorort nach Feierabend rechtschreibvergessen aus dem Social-Media-Halbschatten heraus gegen Flüchtlinge hetzt, ist das eklig, traurig – und vor allem meistens ziemlich egal. Wo dann der Unterschied zwischen einem Wald-und-Wiesen-Troll und Elon Musk liegt? In 260 Milliarden Dollar und 200 Millionen Followern. Aber ansonsten: in nichts. Das ist das Problem.
Wie also berichten über Trollkönig Elon I., der bei seinem Abdriften nach rechts Millionen mit in den Abgrund zieht? Die ebenso unbequeme wie unbefriedigende Antwort: so viel wie nötig und so wenig wie möglich.