Aufreger-Urteil in Schweden Vergewaltiger wird nicht abgeschoben – weil Tat nicht lang genug war

Das Berufungsgericht Övre Norrland in Schweden
Das Berufungsgericht Övre Norrland in Schweden. Hier fiel das Urteil, das hohe Wellen bis in die USA schlug
© Johan Gunseus/Sveriges Domstolar
Ein eritreischer Geflüchteter in Schweden muss wegen Vergewaltigung zwar ins Gefängnis, wird aber nicht abgeschoben. Der Grund sorgt auch international für Fassungslosigkeit.

Meya wollte nur nach Hause. Es war September 2024, die damals 16-Jährige hatte gerade ihre Arbeit in einem Fast-Food-Restaurant im nordschwedischen Skellefteå beendet. Sie verpasste ihren Bus und ging zu Fuß in die Stadt, während sie mit einer Freundin per Videoanruf sprach. So schildert die schwedische Zeitung "Expressen" die Ereignisse, bevor Meya Opfer einer Vergewaltigung wurde.

Vor einer Fußgängerunterführung habe ein Junge sie angesprochen, nach ihrem Namen und Wohnort gefragt. Sie antwortete, machte aber falsche Angaben, wie sie der Zeitung erzählte.

Als sie ihm zeigte, dass sie gerade telefonierte, habe er ihr das Handy entrissen. "Es ging ganz schnell. Dann war er über mir", berichtete sie weiter. Sie habe sich gewehrt, doch er habe sie festgehalten. Sie sei vor Schock gelähmt gewesen. Als er sie losließ, habe sie ihr Handy gegriffen und sei geflohen. Noch am Abend hätten sie und ihre Familie die Polizei verständigt.

Wenige Tage später nahm die Polizei den mutmaßlichen Täter fest, wie "Expressen" weiter berichtet. Meya habe ihn wiedererkannt. Der 18-Jährige sei auf ihre Schule gegangen.

Gericht in Schweden spricht Täter zunächst frei

Was in den anschließenden zwölf Monaten in diversen schwedischen Gerichtssälen geschah, löste allgemeines Kopfschütteln aus und sorgte dafür, dass der Fall weltweit Schlagzeilen machte und in den USA sogar der Sohn von Präsident Donald Trump reagierte.

Dem jungen Mann, es handelte sich um einen 18-jährigen Geflüchteten aus Eritrea, wurde zunächst vor dem Amtsgericht der Prozess gemacht. Dort sprach man ihn frei, da seine Schuld nicht zweifelsfrei bewiesen werden konnte. Der Fall ging vor das Berufungsgericht Övre Norrland, das den Täter rund ein Jahr nach der Vergewaltigung zu drei Jahren Haft und Schadenersatz verurteilte.

Die Staatsanwaltschaft beantragte die Abschiebung des mittlerweile 19-Jährigen. Doch die Richter lehnten ab. Die Zeitung "Expressen" zitierte aus der Begründung: "Unter Berücksichtigung der Art und Dauer der Tat stellt das Berufungsgericht fest, dass es sich zwar um ein schweres Verbrechen handelt, aber nicht um ein besonders schweres Verbrechen, das eine Ausweisungsentscheidung rechtfertigen würde."

Richter: Umstände für eine Abschiebung hätten schwerwiegender sein müssen

Grundsätzlich sei Vergewaltigung zwar ein Grund für eine Abschiebung. Da der Mann jedoch Flüchtlingsstatus habe, könne eine Ausweisung nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen, etwa wenn das Verbrechen als besonders schwerwiegend eingestuft werde, hieß es beim TV-Sender SVT. Das Gericht muss dafür die Schmerzen und Verletzungen des Opfers, die Dauer der Tat sowie den Einsatz von Gewalt, Drohungen oder erniedrigenden Elementen prüfen, wie die Zeitung "Dagens Nyheter" schreibt.

In der SVT-Sendung "Aktuellt" erklärte der Richter Lars Viktorsson vom Berufungsgericht Övre Norrland, es handele sich um eine "Frage der Beurteilung". Er betonte, dass die Tat zwar als schweres Verbrechen angesehen worden sei. Aber eben nicht als besonders schwerwiegend. Einer der Gründe: Die Tat habe nur "einige Sekunden bis wenige Minuten" gedauert.

Laut Richter Viktorsson hätte die Vergewaltigung zur Abschiebung geführt, wenn "die Umstände schwerwiegender gewesen wären". ... "Dass er ein Messer gezogen hätte, dass er sie geschlagen hätte, dass er in sie eingedrungen wäre mit seinem Geschlechtsteil. Aber so waren die Umstände nicht." Der Täter sei nur mit einem Finger in Meya eingedrungen.

Elon Musk und Donald Trump Jr. reagieren auf Urteil

Für viele Menschen in Schweden ist das schwer zu verstehen. Auch in der Politik. Ministerpräsident Ulf Kristersson sagte dem Sender TV4: "Es ist unzumutbar, dass Personen, die wegen schwerer Straftaten verurteilt wurden, nicht ausgewiesen werden können." Migrationsminister Johan Forssell sprach von einem "Systemfehler" und sagte SVT, dass derzeit an einer neuen Gesetzgebung gearbeitet werde. Künftig sollen Straftaten, die zu einer Freiheitsstrafe führen, auch eine Abschiebung nach sich ziehen.

Sogar in den USA sorgte das Urteil für Empörung. So schrieb Donald Trump Jr., Sohn des US-Präsidenten, auf der Plattform X: "Europa sagt: 'Nun, es war nur eine kurze Vergewaltigung', also werden wir einen totalen Dreckskerl nicht aus unserem Land entfernen. WTF?" Die ehemalige Fox-News-Moderatorin Megyn Kelly kommentierte auf X "WTAF" ("What the actual fuck", Was zum Teufel?), Tech-Milliardär Elon Musk schrieb unter ihrem Beitrag "Insane" – verrückt.

Auch Meya kann das Urteil nicht begreifen. Sie habe ein Jahr lang nicht zur Schule gehen können und Albträume gehabt. Sie findet, ihr Vergewaltiger hätte abgeschoben werden müssen, wie sie TV4 sagte. Auch das Strafmaß sei ihr zu niedrig. Sie halte ihn für gefährlich. Dass ihr Fall weltweit so hohe Wellen schlägt, habe sie "schockiert". Doch sie hoffe, dass ihre Geschichte andere ermutigt, Anzeige zu erstatten und über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Quellen: "Expressen", SVT, TV4, "Aftonbladet", "Dagens Nyheter", Sveriges Radio, X von Donald Trump Jr., X von Megyn Kelly

rw

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