Entführungen im Irak Exodus der Helfer

  • von Björn Erichsen
Mit Care verlässt eine der letzten Hilfsorganisationen den Irak. Die Entführung der Chefin Margaret Hassan zeigt, dass den Terroristen die Geiseln ausgehen und sie ihre Opfer nun unter den letzten verbliebenen Helfern des Landes suchen.

Nun hilft auch Care nicht mehr. Nachdem am Dienstag die Chefin der Hilfsorganisation, Margaret Hassan, im Irak entführt worden ist, hat Care die Projekte zum Wiederaufbau in dem Land eingestellt. Vorerst zumindest. Mit Care verlässt einer der letzten Entwicklungshelfer den Irak, fast alle der zahlreichen Organisationen aus aller Welt haben ihre Mitarbeiter aufgrund der prekären Sicherheitslage inzwischen abgezogen. Nur im Norden des Landes, wie in der Stadt Mossul, können auch internationale Helfer noch einigermaßen gefahrlos arbeiten.

Die Arbeit von Care und Co. kann entweder gar nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt fortgeführt werden. Etwa durch den Einsatz irakischer Mitarbeiter, die zuvor geschult wurden. Der Schaden für die Menschen in dem zerstörten Land ist riesig. Es fehlt an Nahrungsmitteln und Trinkwasser, von einer medizinischen Versorgung ganz zu schweigen. So drängt die irakische Regierung auch auf die Fortsetzung der Arbeit der internationalen Hilfsorganisationen. Der nationale Sicherheitsberater Muffawak al Rubaije sagte, die Iraker bräuchten die Hilfe dringend, ein Abzug der Organisationen bedeute ein Zugeständnis an die Terroristen.

Care kümmerte sich auch um Strom- und Wasserversorgung

Care International war seit dem zweiten Golfkrieg 1991 im Irak, sorgte für Not- und Flüchtlingshilfe, Wiederaufbauprogramme und langfristige Entwicklungszusammenarbeit. Nach dem Sturz des Baath-Regimes kümmerten sich die Helfer vor allem um die Aufrechterhaltung der Wasser- und Stromversorgung, den Wiederaufbau von Kliniken sowie die Versorgung von Kindern und Armen mit Nahrung und Hygienemitteln. Doch angesichts der eskalierenden Sicherheitslage waren zuletzt nur noch 30 irakische Mitarbeiter tätig, die ausländischen Mitarbeiter waren bereits im November 2003 abgezogen worden.

Schon seit längerem war die Arbeit der zahlreichen Hilfsorganisationen nur noch unter größten Sicherheitsvorkehrungen möglich. So ist das Haus der deutschen Hilfsorganisation "Help", in einem christlichen Wohnviertel im Osten Bagdads, fast zu einer Festung ausgebaut worden. Sandsäcke sollen Explosionswellen abschwächen, bewaffnete Wachposten haben von der Straße und vom Dach aus die Umgebung im Blick. Bis Ende September haben die "Help"-Mitarbeiter durchgehalten, letztlich aber mussten auch sie der Gewalt weichen.

Terroristen nehmen keine Rücksicht auf humanitäre Helfer

Zwar genießen die Hilfsorganisationen durch ihre Arbeit Rückhalt in der Bevölkerung, die radikalen Gruppierungen attackieren jedoch jeden, der an einer Stabilisierung der Landes mitarbeitet, gleichgültig ob und welchen Menschen das schadet. "Wir waren überzeugt davon, unsere Arbeit unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen weiter führen zu können, sagt Frank McAreavey, Leiter der Minenräumung von "Help" , "doch die Ereignisse, vor allem die Zunahmen der Entführungen und Hinrichtungen, zeigen uns eine Eskalation der Gewalt, deren Auswirkungen auf unsere Sicherheit wir nicht mehr abschätzen können."

Mit drei Teams von ausgebildeten irakischen Mitarbeitern können die Projekte zur Blindgängerbeseitigung - vor allem nicht explodierte amerikanische Geschosse - allerdings derzeit weiter geführt werden. Die Koordination läuft, so weit dies möglich ist, über ein Büro in der jordanischen Hauptstadt Amman. Mittlerweile ist jedoch auch die Sicherheit der lokalen Mitarbeiter nicht mehr gewährleistet. Die irakischen Helfer gelten als Kollaborateure der verhassten westlichen Eindringlinge und sind damit ebenfalls Zielscheibe von gewaltbereiten Extremisten.

Weil außer den alliierten Truppen nur noch wenige potenzielle Opfer in Bagdad zu finden sind, wird das Risiko für die Mitglieder von Hilfsorganisationen immer höher. "Den radikalen Gruppen gehen langsam die Geiseln aus", sagt McAreavey. Deshalb geraten in jüngster Zeit verstärkt die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen in den Fokus der Radikalen. Außer ihnen befinden sich fast nur noch die gut geschützten alliierten Truppen im Land. Den Terroristen ist jetzt jedes Mittel Recht, um die Aufmerksamkeit zu erregen, ihre Forderungen zu artikulieren und Angst und Schrecken zu verbreiten. Und so die Regierungen der Alliierten unter Druck zu setzen.

Wie etwa den britischen Premierminister Tony Blair. Als Anfang Oktober der entführte 62-jährige Kenneth Bigley von den Terroristen enthauptet wurde, hatte seine Familie dem Regierungschef heftige Vorwürfe gemacht. "Bitte stoppen Sie diesen Krieg und verhindern Sie, dass andere ihre Leben lassen müssen", lautete der Appell des Bruders.

Entführer spekulieren auf Empörung im Ausland

In Erwartung solcher Empörungswellen scheint sich auch die Entführung der Care-Chefin Hassan abzuspielen. Die gebürtige Irin lebt seit mehr als 30 Jahren im Irak und hat sich mittlerweile "als Irakerin gefühlt", sagt Care-Sprecherin Amber Meikle gegenüber stern.de. Vor dem Krieg hat Hassan stets vor den katastrophalen Folgen einer Militäroffensive gewarnt und ungeachtet aller Probleme und Gefahren an der Umsetzung ihrer Programme festgehalten. Hassans Einsatz gilt seit 25 Jahren den ärmsten und bedürftigsten Irakern: Sie leitete Ernährungs- und Gesundheitsprogramme sowie Projekte zur Wasserversorgung. Zum Verhängnis wurde ihr wohl, dass sie neben dem irischen und irakischen auch einen britischen Pass besitzt. "Es geht hier um eine Frau, die im Irak eine Heldin sein sollte und stattdessen nun eine Geisel ist", sagt der britische Journalist Robert Fisk.

Das Herz der Iraker zu gewinnen, war eine der Losungen, die die Amerikaner vor und während des Krieges ausgegeben hatten. Dass dies nach dem vielen Blutvergießen, "nach vollendeter Mission" und dem Folterskandal in Abu Ghreib so nicht mehr gelingen wird, ist inzwischen auch den größten Missionaren in Washington klar.

Die alliierten Truppen werden nicht als Befreier, sondern als Besatzer empfunden. Der Exodus der Helfer ist deshalb besonders fatal für den Irak: Nicht nur, dass überlebenswichtige humanitäre Projekte, die zumindest ein Mindestmaß an Versorgung bieten könnten, immer undurchführbarer werden. Mit den Hilfsorganisationen verlassen auch die Menschen das Land, die keine Besatzer sind, sondern Dialog wollen und echte Hilfe bieten. Frank McAreavey gibt sich daher unbeirrt: "Wenn möglich, möchte ich schon Anfang November wieder in den Irak, natürlich nur, wenn es die Sicherheitslage zulässt." Solange aber nicht einmal ein Mindestmaß an Sicherheit für die Helfer gewährleistet werden kann, sieht es düster aus. Nicht nur für das Land am Tigris.