Brüssel EU-weites Lieferkettengesetz vorerst gestoppt – FDP blockiert

Lieferkettengesetz: Container stehen im Containerterminal Altenwerder in Hamburg auf einer Abstellfläche
Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz. Wenn Unternehmen zum Beispiel über den Hamburger Hafen Waren importieren, müssen bestimmte Standards eingehalten werden. Vorgaben der EU sind aber weitreichender
© Markus Scholz / DPA
Eigentlich gab es bereits eine politische Einigung, doch Bedenken der FDP haben das Projekt wieder in Wanken gebracht. Eine für Freitag geplante Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz wird vertagt.

Unter den EU-Staaten zeichnet sich vorerst keine Mehrheit für ein europäisches Lieferkettengesetz ab. Eine Abstimmung über eine zuvor von Unterhändlern ausgehandelte Einigung wurde spontan verschoben, wie die belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Das liegt auch daran, dass in Deutschland FDP-geführte Ministerien in der Bundesregierung kurz vor der Abstimmung angekündigt hatten, dem Vorhaben nicht zustimmen zu wollen.  Der FDP-Bundestagsabgeordnete Carl-Julius Cronenberg teilte mit, auch andere EU-Länder hätten Kritik an dem Vorhaben geäußert.  

Für das Lieferkettengesetz hatten die Ampel-Parteien ursprünglich im Koalitionsvertrag verankert, sich für eine europäische Regelung einzusetzen. Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen sollen zudem stärker auf die Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung verpflichtet werden. Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz, das EU-Vorhaben geht aber auch über die deutschen Vorgaben hinaus. So gilt es für mehr Unternehmen und sieht mehr Möglichkeiten vor, rechtlich gegen Unternehmen vorzugehen, die sich nicht an die Vorgaben halten. 

Auf den letzten Metern befand Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) das Gesetz jedoch als in der bisherigen Form "unzumutbar für kleine und mittelständische Unternehmen". Die spanischen Unterhändler der Mitgliedstaaten hätten bei den Verhandlungen im Dezember mit Zugeständnissen an das Parlament ihr Mandat überschritten.

Lieferkettengesetz sorgt für Diskussionen in der Ampel

Vor einer Woche hatten sich die von der FDP geführten Ministerien für Justiz und für Finanzen gegen die Pläne gestellt und damit auch innerhalb der Ampel-Koalition für Streit gesorgt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kritisierte die FDP deutlich, Deutschlands Verlässlichkeit in der EU stehe auf dem Spiel. Sie sagte: "Wenn wir unser einmal in Brüssel gegebenes Wort brechen, verspielen wir Vertrauen." 

Die Europaabgeordnete Anna Cavazzini bezeichnete die Verschiebung als Trauerspiel. "Die FDP hat nicht nur Deutschland zu einer Enthaltung gezwungen, sondern auch auf andere Länder Druck ausgeübt, dem EU-Lieferkettengesetz ebenfalls nicht zuzustimmen", teilte die Grünen-Politikerin mit. Der Bundeskanzler müsse jetzt ein Machtwort sprechen.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hatte sich am Donnerstag noch eindringlich für ein EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. Deutschland werde einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden und Europa einen irreparablen politischen Schaden erleiden, falls das Lieferkettengesetz keine Mehrheit finde, so Marcel Fratzscher. Mit Blick auf eine Enthaltung Deutschlands sagte er, das sei "nicht nur ein moralisches Versagen, sondern könnte langfristig vor allem der offenen deutschen Wirtschaft und ihrem wichtigsten Markenkern, der Reputation ihrer Produkte 'Made in Germany', schaden".

Deutsche Unternehmen übten Kritik an den EU-Plänen

Unternehmensverbände hatten sich hingegen jüngst gegen das EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen. In einem Brief an den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnten sie davor, dass sich Unternehmen aus Europa zurückziehen und Firmen mit unbegründeten Klagen konfrontiert sowie überzogenen Strafen sanktioniert werden könnten. Unterschrieben wurde der Brief von den Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). 

Der Verband der deutschen Textil- und Modeindustrie forderte beispielsweise, die EU-Länder müssten das geplante Lieferkettengesetz vollständig zurücknehmen. Die Richtlinie sei ein "völlig realitätsfernes Bürokratieungeheuer", erklärte der Geschäftsführer des Verbandes, Uwe Mazura. Das Gesetz werde die Unternehmen "unnötige Ressourcen" kosten.

Unternehmen wären unter dem Gesetz künftig verpflichtet, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln. Mögliche Folgen müssten sie laut Gesetzestext "verhindern, mildern, beenden und beheben". Außerdem müssten sie die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards auch bei ihren Partnerunternehmen in der Wertschöpfungskette überwachen. Dazu zählen Lieferanten, Vertriebspartner, Transportunternehmen, Lagerdienstleister oder auch die Abfallwirtschaft.

Zunächst blieb unklar, wann die Mitgliedstaaten erneut über das Lieferkettengesetz abstimmen sollen. Durch die Verschiebung ist fraglich, ob die Richtlinie noch vor den Europawahlen Anfang Juni verabschiedet werden kann.

DPA · AFP
mkb

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos