Frankreich Paris vertreibt Obdachlose

Pariser Obdachlose werden im wahrsten Sinne des Wortes ihre Zelte abbrechen müssen. Hilfsorganisationen hatten sie mit Unterkünften ausgestattet - doch Anwohner protestieren nun gegen ihre neuen Nachbarn.

Paris hat den illegalen Zeltlagern von Obdachlosen den Kampf angesagt. Bis zur kommenden Woche sollen die etwa 2000 Menschen ihre "Behausungen räumen, die die Ufer der Seine, Boulevards und selbst teurere Wohngegenden verschandeln", berichtet die linksliberale Tagezeitung "Libération". Zwei Hilfsorganisationen sollen die Betroffenen dazu bringen, ihre Zelte zu abzubauen. Sonst müssten sie mit der Zwangsräumung rechnen, sagt ein Sozialarbeiter.

Den Anwohnern sind diese "Nachbarn" schon lange ein Dorn im Auge. Die Zelte waren im vergangenen Winter von der Hilfsorganisation "Ärzte der Welt" verteilt worden. Seitdem haben sie sich für viele Pariser und Touristen zu einer wahren Plage entwickelt. Sie verschmutzen die Umgebung, in dem sie ihre Notdurft im Freien verrichten und ihren Abfall einfach wegwerfen. Im Winter hatten die Pariser noch Verständnis. In der brütenden Sommerhitze aber schmolz das Mitleid schnell dahin. In der Kälte des Winters bei geschlossenen Fensterläden, ist Mitleid leichter, argumentiert Graziela Robert, die bei den "Médecins du Monde" für die Verteilung, der 300 Zelte verantwortlich war. "Der Geduldsfaden ist mit Beginn des Sommers gerissen", sagt Patrick Rouyer von der karitativen Organisation Emmaus.

Vagabunden ziehen den Preis runter

Ein Problem wurde auch die wachsende Zahl der "Camper". Zunächst waren es nur zwei bis drei. Jetzt seien sie zu Gruppen von acht bis zwölf Menschen angewachsen, selbst Kinder seien dort anzutreffen, betont Rachid Cherfi, der für eine Hilfsorganisation die Lage vor Ort unter die Lupe genommen hat.

Das Resultat: Geschäftsleute wurden ungehalten und Wohnungseigentümer treibt die Sorge wegen des Wertverfalls ihres Eigentums um. "Wer kauft schon gern eine Wohnung am Rande einer Obdachlosensiedlung", fragte einer entnervt. Seine Wohnung habe ein Viertel ihres Wertes verloren, seufzt ein älterer Anwohner.

Das Verhalten der ungebetenen Gäste war nicht immer fein. Betrunkene Zeltbewohner grölten, lagen als Alkoholleichen im Weg oder bedrohten Passanten. Dauernd betrunken und verdreckt, so haben sie sich die Sympathien verscherzt, klagt ein elegant aussehender Mit- Vierziger im konservativen "Figaro".

Lange verhallte der Ruf nach einem Eingreifen von Polizei und Stadtverwaltung ungehört. Stadtverordnete wurden geradezu überschüttet mit Protestbriefen erzürnter Wähler. Die Stadtverwaltung und Polizei scheuten lange die Konfrontation mit den Menschen, die häufig als Illegale aus Osteuropa in Paris campieren und mit Schwarzarbeit ihr Leben finanzieren.

Jetzt haben auch die Behörden die explosive Situation erkannt und bemühen sich, die Zeitbombe zu entschärfen. Der Polizeipräfekt hat sich höchstpersönlich auf dem Boulevard Richard-Lenoir im XI. Arrondissement ein Bild der Situation verschafft. Als Zeichen neuer Härte verschärft jetzt die Polizei ihr Vorgehen gegen die Obdachlosen. Aber, so ist aus dem Büro von Catherine Vautrin, der Ministerin für Sozialen Zusammenhalt und Gleichstellung, zu erfahren, zunächst werde vor allem auf die Kraft der Überzeugung und nicht auf die Macht des Polizeiknüppels gesetzt. Den Obdachlosen sollen Alternativen schmackhaft gemacht werden, kündigte Mylène Stambouli von der Stadtverwaltung an. So sollen ihnen beispielsweise andere Unterkünfte angeboten werden.

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Jürgen Gesper/DPA