Ganz in rot gekleidete Hostessen des Frauenblatts "Elle" stehen am Eingang der "Sciences Po", als Nicolas Sarkozy Punkt neun Uhr in seiner schwarzen Karosse vorfährt. "Sarko Präsident", rufen ein paar der versammelten Studenten. Der forsche Favorit bei den Präsidentschaftswahlen ist an diesem Tag der erste von insgesamt acht Elysée-Anwärtern, die sich dem "Debattiermarathon" stellen, den die renommierte Eliteschule und das Hochglanzmagazin organisiert haben. Das Thema lautet "Was Frauen wollen."
Sarkozy, Chef der konservativen UMP-Partei, betritt nicht zum ersten Mal diese berühmte Schule im feinen 7. Pariser Arrondissement. Bereits als 24-Jähriger saß er hier in den Hörsälen - doch für das begehrte Abschlussdiplom, das die Tür zu Frankreichs Superkaderschmiede ENA (Ecole nationale d'administration) öffnet, hat es bei ihm damals nicht gereicht. Der Grund: mangelnde Englischkenntnisse.
Sarkozy scheiterte an der Eliteuni
Doch daran denkt jetzt keiner im Getümmel der mit Nationalflaggen aller möglichen Länder behängten Eingangshalle, in deren Mitte die "Péniche" (Landungsboot) steht, eine doppelseitige überdimensionale Holzbank, die mit etwas Phantasie an ein Schiff erinnert. Selbstbewusst schreitet der kleinwüchsige Hardliner, der nach seinem Scheitern an der "Sciences Po" eine Juristenkarriere einschlug, in Richtung Aula, um die künftigen Führungskräfte des Landes von sich zu überzeugen. Sarkozy argumentiert kurz und prägnant: "Frauen sollen die Wahl haben, auch Vollzeit arbeiten zu können. Es ist skandalös, dass sie wegen der Kinder oft schlechter bezahlte Teilzeitjobs annehmen müssen." Statt neuen Krippenplätzen will er ein Gesetz durchbringen, das Familien bei Bedarf einen Babysitter garantiert.
Eine Stunde später taucht seine Hauptgegnerin auf, die Sozialistin Ségolène Royal. Schon vor "Sarko" stöckelte sie einst um die "Péniche", und das mit mehr Erfolg als ihr heutiger Widersacher- sie schaffte alle Prüfungen, selbst in der oberanspruchsvollen ENA, wo nur die härtesten aller Workaholics zum Ziel kommen. "Als ich damals auf diesen Bänken gesessen bin", erklärt Madame Royal nun vor den ausgewählten Zuhörern, "hätte ich niemals gedacht, einmal so vor Euch zu stehen - als Präsidentschaftskandidatin."
Royal kämpft für Abtreibungsrecht
Mit ihrem rosa Oberteil und dem beigen Blazer passt die Primadonna der "Parti Socialiste" perfekt zu dem mit pastellfarbenen "Elle"-Logos bedruckten Bühnenhintergrund. Und beim Thema Frau ist sie ganz in ihrem Element. Bereits während ihrer Studienzeit machte sie sich für den Feminismus stark, kämpfte in der Gruppe "Femmes" unter anderem für das Recht auf Abtreibung. Heute will die Mutter von vier Kindern für mehr Krippenplätze, gleichen Lohn sowie besseren Schutz vor häuslicher Gewalt eintreten. Nach etwa einer Stunde verlässt die Graziöse den Saal, begleitet von den Jubelschreien ihrer Anhänger und vereinzelten Pfiffen ihrer Gegner.
Video auf französisch: Ségolène Royal an der Eliteuni
Es folgen die "kleinen" Kandidaten, denen die Umfragen am kommenden Sonntag lediglich weit weniger als fünf Prozent der Wählerstimmen einräumen. Der Mac-Donalds-Verächter José Bové etwa, der gerne zu zivilem Ungehorsam aufruft, die Kommunistin Marie-George Buffet, der trotzkistische Briefträger Olivier Besancenot sowie die Grüne Dominique Voynet. Nur wenige Studenten interessieren sich für die eher chancenlosen Exoten.
Le Pen wird ausgebuht
Doch am Nachmittag kommt noch mal so richtig Leben in die Bude, als Jean-Marie Le Pen eintrifft. "Rassist" und "Faschist" rufen die Kommilitonen schon draußen, wollen den Führer der rechtsradikalen Front National nicht ins Gebäude lassen. Seine breitschultrigen Bodyguards schirmen ihn hermetisch ab und bahnen ihm einen Weg in die Halle. Dort geht der laute Protest weiter. Trotzig ballt der Unbelehrbare seine Fäuste und reißt sie in die Luft, um Stärke zu demonstrieren. Auch im Hörsaal hört der Radau nicht auf. Da wird der 79-Jährige mit der Riesenbrille stinkig sauer. "Bande von Blödmännern", brüllt er. Von diesem Institut habe er ein anderes Verhalten erwartet. Le Pen hat eben nicht an der "Sciences Po" studiert und weiß nicht, dass hier Meinungen mitunter recht vehement geäußert werden. Vor allem bei einem, der an Schulen Selbstbefriedigung statt geschützten Geschlechtsverkehr lehren und Frauen zum Kindererziehen statt zum Arbeiten ermuntern will.
Für nahezu alle meiner Kommilitonen ist sonnenklar, dass sie einem wie Le Pen niemals ihre Stimme geben würden. Einige jedoch wissen noch immer nicht, wen sie denn nun wählen sollen - ein Gefühl der Unsicherheit, das weit verbreitet ist in Frankreich, wo die Zahl der Unschlüssigen vor den Präsidentschaftswahlen noch nie so hoch war wie diesmal. Über 30 Prozent der Franzosen haben sich nach neuesten Umfragen noch immer nicht entschieden.
Über 30 Prozent der Franzosen sind noch unschlüssig
Vielleicht macht doch noch François Bayrou das Rennen. Der Vater von sechs Kindern und Chef der zentristischen UDF-Partei, laut Prognosen derzeit an dritter Stelle hinter Sarkozy und Royal, machte kürzlich Schlagzeilen, als er die Abschaffung der ENA forderte. Während der Präsentation seines Programms bekräftigte er diesen Standpunkt erneut, versicherte jedoch, die "Sciences Po" bestehen zu lassen. "Schließlich", sagte er mit verschmitztem Lächeln, "studiert bei euch ja auch eine meiner Töchter."
Die diplomierte Islamwissenschaftlerin Iris Hartl studiert gerade selbst an der berühmten Pariser Politologen-Schule "Sciences Po" und erlebte den Wahlkampf der Präsidentschafts-Kandidaten hautnah mit