Mit frenetischem Beifall hat der Kongress in Washington US-Präsident George W. Bush und seinen ersten Bericht zur Lage der Nation gefeiert. Viereinhalb Monate nach dem Schock der Anschläge des 11. September und vier Monate nach Bushs Kampfansage an den internationalen Terrorismus an gleicher Stelle trat er am Mittwochmorgen MEZ als Sieger des Afghanistan-Krieges vor die Parlamentarier und die vielen Millionen Amerikaner daheim vor den Bildschirmen. Er nutzte den Auftritt nicht zu einer selbstzufriedenen Bilanz, sondern zu einer nachhaltigen Warnung an Staaten, die den Terrorismus unterstützten, sich um Massenvernichtungswaffen bemühten und »eine Achse des Bösen« bildeten. Demonstrativ nannte er Namen: Nordkorea, Iran, Irak.
Ehrengast Karsai
Auf der Ehrentribüne saß Hamid Karsai, der Chef der afghanischen Übergangsregierung. Angetan mit dem traditionellen Dschilak-Mantel, symbolisierte er den Sturz der Taliban in seiner Heimat ebenso wie den Aufstieg Bushs zu beispiellosen Höhen der Popularität. Er will sie nutzen, um den weltweiten Feldzug gegen den Terrorismus und seine staatlichen Helfer mit festem Rückhalt in der Bevölkerung fortzusetzen. »Der Kampf gegen den Terrorismus hat erst angefangen«, rief er aus.
Zuletzt hatte Bush am 20. September 2001 auf einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus gesprochen. Es ging um die Mobilmachung zum Krieg gegen den Terrorismus. Der Ausgang war ungewiss, der tausendfache Tod im World
Trade Center allen gegenwärtig. Die Frage, ob der 43. Präsident der Situation gewachsen war, wartete auf Antwort. Er blieb
sie nicht schuldig.
Die Art, wie Bush gegen die Taliban und die Anhänger des El-Kaida- Chefs Osama bin Laden vorging, trug ihm in Meinungsumfragen Spitzenwerte von 92 Prozent Zustimmung ein. Sie liegen immer noch bei 84 Prozent für seine Amtsführung und bei 89 Prozent für die Anti- Terror-Kampagne. Neun Monate vor den Kongresswahlen am 5. November, bei denen alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und 34 der 100 Senatoren neu gewählt werden, hat Bush außerdem seine Republikanische Partei zur beliebtesten politischen Kraft gemacht.
Applaus auch vom Gegner
Dem politischen Gegner, den Demokraten, blieb daher kaum etwas anderes übrig, als zu klatschen. Gegen zwei der Pfeiler in der Politik des Präsidenten, die Terrorbekämpfung verbunden mit einer starken Verteidigung sowie ein wirkungsvoller Heimatschutz, haben sie keine guten Gegenargumente. Für das Militär will Bush im nächsten Haushalt 48 Milliarden Dollar (55,7 Mrd. Euro) mehr ausgeben, für die Heimatverteidigung 18 Milliarden Dollar (20,8 Mrd. Euro).
Der dritte Pfeiler jedoch, die Ankurbelung der Wirtschaft, bietet der Opposition Ansatzpunkte für Kritik und Bush weiß das. Deshalb legte er in seiner 47 Minuten langen Rede großen Wert darauf, sich als Anwalt des Normalverbrauchers zu
präsentieren. Mit einem Wort lasse sich seine Politik zusammenfassen, sagte er: Jobs. Denn falls im November die Arbeitslosenquote immer noch 5,8 Prozent beträgt oder gar noch höher ist, wie einige Ökonomen trotz der Anzeichen für eine Belebung befürchten, könnte auch der Afghanistan-Sieger an Glanz verlieren.
Steuersenkungen sollen Konjunktur ankurbeln
Er will daher der Konjunktur mit weiteren Steuersenkungen nachhelfen, nachdem er schon im Vorjahr einen Nachlass von 1,35 Billionen Dollar (1,56 Billionen Euro) über einen Zeitraum von zehn Jahren durchsetzte. Die Einnahmeausfälle, der die Steigerung der Ausgaben gegenüberstehen, werden im kommenden Jahr erstmals seit 1997 wieder zu einem defizitären Haushalt führen. Die Demokraten wollen Bush daher als den Mann hinstellen, der den Staat auf dramatische Weise wieder ins Minus geführt hat. Bush konterte: Das Defizit werde klein und kurzfristig sein, solange der Kongress das Geld verantwortungsbewusst ausgebe.
Fallstrick Enron-Affäre
Ein weiterer Fallstrick lauert mit der Enron-Affäre, jener Milliardenpleite zu Lasten von Aktionären und Angestellten. Die Energiehandelsfirma aus Texas hatte enge Kontakte mit dem Weißen Haus, das sich bisher weigert, dies zum Beweis der Harmlosigkeit öffentlich zu dokumentieren. Eine Klage des Rechnungshofes des US- Kongresses droht nun und auch 75 Prozent der Amerikaner möchten Rechenschaft. Die Endfassung seiner Rede, an der Bush und seine Berater wochenlang feilten, enthielt daher einen Appell an das Verantwortungsgefühl der Unternehmer und ein Plädoyer für einen besseren Schutz der Alterssicherung von Arbeitnehmern.