Das italienische Verfassungsgericht hat die Immunität des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi vor Strafverfolgung aufgehoben. Wie italienische Medien berichteten, erklärten die 15 Verfassungsrichter am Mittwoch in Rom ein umstrittenes Gesetz für nicht verfassungskonform, mit dem Berlusconi sich und drei weiteren ranghohen Politikern die juristische Unantastbarkeit gesichert hatte. Neben dem Regierungschef durften bislang auch der Staatschef und die Präsidenten der beiden Parlamentskammern während ihrer Amtszeit nicht strafrechtlich verfolgt werden. Die Opposition hatte gegen das Immunitätsgesetz protestiert und es als "Lex Berlusconi" verurteilt.
Dem seit Monaten von Schlagzeilen über angebliche Frauengeschichten und wilde Partys im Regierungspalast geplagten Medienmogul droht nun die Wiederaufnahme gleich mehrerer Verfahren. In einem besonders aufsehenerregenden Prozess muss sich der 73-Jährige womöglich wegen Beeinflussung von Justizbehörden verantworten. Berlusconi wird vorgeworfen, seinen früheren Anwalt David Mills für Falschaussagen in Prozessen in den 90er Jahren bezahlt zu haben.
Berlusconi lässt das Urteil kalt
Der Ministerpräsident hatte das Gesetz 2008 kurz nach seiner Wiederwahl per Vertrauensabstimmung durch das Parlament gepeitscht. Das Verfassungsgericht kam nun zu der Auffassung, dass das Gesetz gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt. Zudem reiche es nicht aus, eine Immunität gegen Strafverfolgung in einem Gesetz festzuschreiben. Dies müsse in der Verfassung verankert werden.
Berlusconi zeigte sich vom Spruch des Gerichts wenig beeindruckt und lehnte Rücktrittsforderungen ab. "Nichts wird passieren, wir werden weitermachen", sagte der Ministerpräsident in Rom. Und: "Ich habe nie daran geglaubt, dass die Norm bestätigt würde bei elf linken Richtern." Die in Mailand gegen ihn anhängigen Verfahren bezeichnete er als Farce. Die Vorwürfe würden sich als Lüge herausstellen. Er schloss seine kurze Erklärung mit den Worten: "Lang lebe Italien! Lang lebe Berlusconi!"
Sein Sprecher hatte die Entscheidung zuvor bereits als "politisches Urteil" bezeichnet und erklärt, die Regierung werde das Wählermandat respektieren.
Franco Pavoncello, Politikprofessor an der John-Cabot-Universität in Rom, erklärte: "Berlusconi war unangreifbar, und er wird jetzt wieder angreifbar." Mindestens zwei Prozesse würden automatisch wiedereröffnet. Dazu komme noch der Sex-Skandal um den Ministerpräsidenten. Für seine Verbündeten werde sich nun die Frage stellen, ob es sich lohne, für Berlusconi zu kämpfen.
Tito Boeri, Wirtschaftsprofessor an der Mailänder Bocconi-Universität sagte, für Italien sei dies eine schlechte Nachricht. Berlusconi sei schon eine "lame duck" (lahme Ente) an der Spitze einer schwachen Regierung. Dies werde nun noch schlimmer. Gleichzeitig brauche Italien dringend Reformen, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Boeri warnte: Berlusconi werde sich nun noch weniger darauf konzentrieren.
"Der Zorn des Volkes"
Das Urteil kam nach zweitägigen Beratungen nicht unerwartet. Medien hatten über "Hochspannung im Regierungspalast" und mögliche Neuwahlen spekuliert. In der Opposition wie auch im Regierungslager war in den vergangenen Tagen offen über die möglichen Folgen einer Ablehnung des "Lodo Alfano", wie das umstrittene Gesetz heißt, diskutiert worden.
Während die Opposition vom Rücktritt des "Cavaliere" und einer "Übergangslösung" sprach, schloss die Regierungsmannschaft des 73-jährigen Medienmoguls dies kategorisch aus. "Wenn Berlusconi fällt, dann schreiten wir zu den Urnen", hatte sein Lager einstimmig verlauten lassen. Der Chef der ausländerfeindlichen, rechtspopulistischen Regierungspartei "Lega Nord", Umberto Bossi, hatte gar gedroht, das Gericht wolle doch wohl kaum "den Zorn des Volkes heraufbeschwören". Nun soll es Massenkundgebungen zur Unterstützung Berlusconis geben.