Andrew Kohut ist Direktor des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts PEW. Er machte sich durch präzise Wahlprognosen einen Namen.
Stern.de: Herr Kohut, wie wichtig waren die „moralischen Werte“ bei den US-Präsidentschaftswahlen?
Andrew Kohut: Moral und Religion waren bislang bei jeder Wahl wichtig. Dieses Mal aber wurde ihre Bedeutung übertrieben. Die "moralischen Werte" waren mehr ein Slogan als ein entscheidender Faktor. Unsere Umfragen zeigen vielmehr, dass den Wählern bestimmte Sachthemen offenbar wichtiger waren.
Doch es heißt, vor allem die religiöse Rechte mit ihren Moralvorstellungen habe Bush zum Wahlsieg verholfen.
Das lässt sich so klar nicht nachweisen. Nach der Wahl haben wir zwei Umfragen gemacht. Bei einer stand der Begriff "moralische Werte" im Kontext mit anderen Themen, etwa mit dem Irak oder der Wirtschaft: dabei nannten 27 Prozent der Wähler die moralischen Werte als wichtigstes Thema für ihre Entscheidung. Eine andere Gruppe fragten wir lediglich nach dem wichtigsten Grund für ihre Wahl. Dabei nannten nur 14 Prozent die moralischen Werte. 25 Prozent hingegen nannten den Irak als entscheidenden Faktor. Die angebliche Vorherrschaft dieser moralischen Werte beruht also auf einer unsauberen Fragestellung.
Welche Faktoren waren dann entscheidend für Bushs Sieg?
Es war ein großer Sieg für Bush. Er hat bei allen konservativen Wählern dazu gewonnen - und zwar in allen Bevölkerungsgruppen und in allen Altersgruppen - mit einer Ausnahme: den jungen Menschen unter 30 Jahren. Ich glaube, es gab zwei besonders wichtige Gründe. Zum einen die enorm hohe Wahlbeteiligung...
...doch die werde vor allem den Demokraten nützen, hieß es.
Ja, doch die Republikaner waren dabei offenbar besser organisiert. Sie konnten ihre Wähler überzeugen, auch wirklich ins Wahllokal zu gehen - und zwar alle konservativen Wähler, nicht nur die religiöse Rechte. Dazu hat wahrscheinliche auch das Ergebnis der TV-Debatten beigetragen: dort machte Kerry ja eine sehr gute Figur im Vergleich zu Bush. Das wird viele konservative Wähler erschreckt und für Bush mobilisiert haben. Der zweite Grund für Bushs klaren Sieg aber ist: Die Republikaner haben es geschafft, eine Abstimmung über Bush und den Irak-Krieg in eine Abstimmung über Kerry zu verwandeln.
Indem Kerry konsequent als wankelmütiger „Flip-Flopper“ dargestellt wurde?
Ja. Es ging um "leadership". Die Wähler trauten Kerry nicht zu, dass er das Land auch wirklich führen könne. Diese Wahl war eine Wahl über Sicherheit und Außenpolitik. Und da vertrauen die Menschen Bush einfach mehr als Kerry. Bush klang entschlossener, seine Botschaft war klarer. Seit dem 11. September 2001 fühlen sich die Amerikaner bedroht. Das hat sich nicht geändert. Und in unsicheren Zeiten wechselt man eben nur ungern das Pferd.
Wie wichtig war der Krieg im Irak für die Wahlentscheidung?
Die Wähler haben Bush ein Mandat für seinen Krieg gegen Terror gegeben. Die Ereignisse im Irak sind für die meisten ein Teil in diesem Kampf gegen den Terror.
Rückt Amerika unter Präsident Bush nun weiter nach rechts?
In ihrem Antiamerikanismus übertreiben die Europäer gerne. Sie meinen zum Beispiel, die Amerikaner seien religiöser geworden. Das stimmt einfach nicht. Außerdem: 48 Prozent haben Bush nicht gewählt. Und dieses Mal haben die Wechselwähler, die man ja eher als moderat bezeichnen kann, mehrheitlich für Bush gestimmt. Kerry konnte ihnen keine eindeutige Position zu Irak und dem Krieg gegen den Terror vermitteln. Das waren die entscheidenden Fragen. Und da war ihnen Kerry einfach nicht entschieden und nicht klar genug.