Wieder begann am Mittwoch der Tag in Bagdad mit Horrorszenen. Als sich um 7.40 Uhr (Ortszeit) vor dem zentralen Rekrutierungsbüro von Armee und Zivilschutz ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto in die Luft sprengte, hatten dort mehrere hundert meist junge Männer in der Warteschlange gestanden. Die Wirtschaft liegt im Nachkriegs-Irak darnieder, und Jobs sind rar. Die Männer waren in der Hoffnung gekommen, in den Sold der neuen irakischen Sicherheitskräfte treten zu können.
Gegen 07.40 steuert ein Unbekannter einen weißen Oldsmobile Cutlass Sierra, Modell 1991, langsam Richtung Pforte. In dem Wagen versteckt: zwischen 300 und 500 Pfund Sprengstoff. Von den Wartenden ahnt es noch niemand. Einer von ihnen ist der 32 Jahre alte Offizier Ghasan Sameer. "Der Wagen näherte sich langsam dem Tor. Plötzlich überfuhr er ein paar Männer. Und dann ist er explodiert." Eine Stunde später liegt Sameer in einem Krankenhausbett, er redet mit gedämpfter Stimme: "Ich wurde durch die Luft geschleudert. Ich sah nur Feuer und Leichenteile." Beide Beine sind gebrochen, im Gesicht wurde er von Splittern getroffen.
Praktisch gleiche Szenarien
Das praktisch gleiche Szenario hatte sich keine 24 Stunden zuvor vor der Polizeiwache der Kleinstadt Iskandarija, südlich von Bagdad, abgespielt. Auch dort hatte sich eine lange Schlange gebildet. Männer ohne Arbeit hofften auf eine Aufnahme in die örtliche Polizei. Ein Auto fuhr vor und explodierte. An die 50 Menschen starben bei diesem Selbstmordanschlag.
Ähnlich verlief ein weiteres Blutbad am 18. Januar vor dem Haupteingang der US-Verwaltung in Bagdad. Eine große Menge von irakischen Verwaltungsbediensteten und Jobsuchenden hatte vor dem Tor gestanden, um auf Einlass zu warten. Ein Selbstmordattentäter fuhr vor, sprengte sich in die Luft und riss 30 Menschen mit in den Tod. Am 1. Februar zündeten zwei Attentäter in den Parteilokalen der beiden großen Kurdenparteien in Erbil ihre Sprengstoffgürtel. Mehr als hundert Menschen starben.
Der Einsatz gewaltiger Mengen von Sprengstoff und die Fixierung auf große Menschenmengen lassen US-Militärs von "Fingerabdrücken" des Terrornetzwerks El Kaida sprechen. "Es lässt uns vermuten, dass hier El Kaida oder Leute am Werk sind, die mit El Kaida zusammenarbeiten wollen", sagte US-Militärsprecher General Mark Kimmitt am Dienstag in Bagdad. Unabhängige Experten sind nicht überrascht. Die gelegentlich mit als Kriegsgrund vorgebrachten Verbindungen des Ex-Diktators Saddam Hussein zur Organisation von Osama bin Laden ließen sich nie beweisen. Doch für sie war klar, dass die selbst ernannten Gotteskämpfer das Nachkriegsvakuum im Irak dazu nutzen würden, um ihren Krieg gegen den "Satan" USA ins Zweistromland zu tragen.
Hoffnungen ruhen auf irakische Sicherheitskräfte
Schon hinter den Anschlägen im vergangenen Jahr auf die Hauptquartiere von UN und Rotem Kreuz in Bagdad, auf den Schiiten-Führer Ajatollah Mohammed Bakir el Hakim und das Hauptquartier der italienischen Carabinieri in Nasirija waren El-Kaida-Drahtzieher vermutet worden. Mit Jahresbeginn scheinen diese aber ihre Strategie geändert zu haben. Die Stützpunkte der internationalen Besatzungstruppen sind zu schwer angreifbaren Festungen ausgebaut worden. Polizeiwachen, Auszahlungsstellen und Rekrutierungsbüros werden nun zu "weichen" (ungeschützten) Zielen. Hinzu kommt, dass die US-Besatzungsmacht große Hoffnungen in die neuen irakischen Sicherheitskräfte setzt. Sie sollen einmal die alltäglichen Ordnungsaufgaben von den US-Truppen übernehmen.
Den Strategiewechsel belegt auch ein Dokument, das die Amerikaner im Januar einem gefassten El-Kaida-Kurier abnahmen. Das Schriftstück wird dem Jordanier Abu Musab el Sarkawi zugeschrieben, der als der El-Kaida-Frontmann im Irak gilt. Der Autor ersucht darin die El- Kaida-Führung um Unterstützung und beschreibt die Schwierigkeiten, auf die seine Komplizen im Irak stoßen. "Mit der Ausbreitung von (irakischer) Armee und Polizei wird unsere Zukunft immer beängstigender", heißt es. Und an einer anderen Stelle: "Wir sind entschlossen, sie in nächster Zukunft, bevor sie an Stärke gewinnen, mit aller Kraft zu bekämpfen." Die Anschläge der vergangenen Tage zeigen, dass die Drahtzieher des Terrors es ernst meinen.