Aus Protest gegen ihre Rede in der Knesset in deutscher Sprache wollen mehrere israelische Parlamentarier die Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstagabend boykottieren. Der israelische Rundfunk meldete, Schelly Jachimowitsch von der Arbeitspartei habe erklärt, es sei unsensibel gegenüber Holocaust-Überlebenden, im israelischen Parlament deutsch zu sprechen. Deutschland sei ein Freund Israels, aber man müsse in dieser Generation Rücksicht auf die "verletzten Seelen" der Opfer nehmen, erklärte die Tochter von Holocaust-Überlebenden.
Auch der Abgeordnete Arye Eldad vom Parteienbündnis Nationale Union/Nationalreligiöse hat angekündigt, er wolle das Plenum verlassen, sobald Merkel den Raum betritt. Nach Angaben des israelischen Online-Dienstes "ynet" wollen mindestens fünf der 120 Knesset-Mitglieder die Ansprache boykottieren.
Der Vorsitzende des parlamentarischen Innenausschusses, Ofir Pines (Arbeitspartei), verurteilte den Teilboykott. Er sei auch Sohn von Holocaust-Überlebenden und habe selbst vergangene Woche im deutschen Parlament anlässlich der 60. Jahresfeiern zur israelischen Staatsgründung auf Hebräisch gesprochen. "Der Boykott ist eine Provokation, die nicht angebracht ist, und ich hoffe, sie wird das Ereignis nicht überschatten."
Die Abgeordnete Sara Marom Schalev von der Rentnerpartei, selbst eine Holocaust-Überlebende, kritisierte das Verhalten als Populismus. "Es stört mich überhaupt nicht, dass Merkel auf Deutsch sprechen will", sagte sie.
Merkel ist die erste ausländische Regierungschefin, die eine Einladung erhalten hat, vor der Knesset zu reden. Um ihr den Auftritt zu ermöglichen, wurden die Statuten der Knesset geändert, die bisher nur Reden von Staatschefs vorsahen. Kanzler Helmut Kohl hatte das israelische Parlament 1984 zwar auch besucht und eine kurze Ansprache gehalten, aber nicht vor dem Plenum. Jedoch haben schon die beiden Bundespräsidenten Johannes Rau und Horst Köhler vor der israelischen Volksvertretung gesprochen, der heute 120 Abgeordnete angehören.
Wirtschaftshilfe für Palästinenser-Gebiete
Indes ist Merkel mit militärischen Ehren in der Knesset empfangen worden. Die Kanzlerin hat in Israel deutsche Wirtschaftshilfe für den Aufbau der Palästinenser-Gebiete angekündigt. Deutschland werde konkrete Projekte unterstützen, die im Friedensprozess eine entscheidende Rolle spielen, sagte Merkel. Sie werde sich persönlich darum kümmern, dass die deutsche Hilfe zügig fließe, sagte sie nach einem Treffen mit Präsident Schimon Peres. Deutschland will die Infrastruktur eines Gewerbeparks in Palästina mit einem Kredit zu Sonderkonditionen über 10,2 Millionen Euro fördern. Unklar ist noch, welche Gewerbe die Palästinenser-Regierung im Grenzgebiet zu Israel ansiedeln will.
Der Gewerbepark geht auf eine Initiative während des Israel-Besuchs von Bundespräsident Johannes Rau im Februar 2000 zurück und ist ein deutsch-palästinensisches Projekt. Mit der israelischen Seite seien noch Vereinbarungen über die Warenausfuhr nötig. Der Park ist nördlich von Dschenin geplant, wenige Kilometer von der Grenze zu Israel, die inzwischen mit umfangreichen Sicherheitsanlagen ausgebaut ist. Zugleich forderte sie die israelische Regierung auf, den schwierigen Weg des Friedensprozesses fortzusetzen. Israels Außenministerin Zipi Liwni sagte zu, die stockenden Verhandlungen konsequent weiterzuführen.
Die Bundeskanzlerin will in der Rede Deutschlands Verantwortung für die Vergangenheit betonen, zugleich aber auch für einen gemeinsamen Blick in die Zukunft und eine breitere Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten werben. Dazu sollten aus Anlass des 60. Jahrestags der Gründung des Staates Israel die ersten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen den Auftakt geben, bei denen Kooperationen unter anderem in Wirtschaft und Wissenschaft vereinbart wurden.
Angespannte Lage in Israel
Wenige Stunden vor der Rede Merkels ereignete sich indes ein Anschlag in der Jerusalemer Altstadt. Ein Palästinenser stach im arabischen Teil der Stadt auf einen 49-jährigen Rabbiner ein und verletzte ihn am Hals. Die Wunden seien nicht lebensgefährlich, sagten Sanitäter. Der Anschlag wurde in der Nähe des Damaskus-Tors verübt, das eine beliebte Sehenswürdigkeit ist. Wegen der Karwoche halten sich derzeit besonders viele Touristen in der Stadt auf.
Seit ein palästinensischer Attentäter vor knapp zwei Wochen acht Studenten einer Talmudschule tötete, ist die Lage in Jerusalem sehr angespannt. Am Sonntag drangen Dutzende israelische Extremisten in das Viertel ein, in dem der Attentäter gewohnt hatte, und bewarfen Autos und Häuser mit Steinen.