Er sehe sich als Freund von Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras. Jean-Claude Juncker sagt das immer wieder. Bei öffentlichen Auftritten zieht der EU-Kommissionschef den griechischen Premierminister an sich heran, lächelt in die Kameras, tätschelt ihm die Schulter. Juncker will zwischen Griechenland und Gläubigerstaaten vermitteln, will einen Ausstieg des Landes aus dem Euro, den sogenannten Grexit, verhindern. Unbedingt.
Doch an diesem Sonntagvormittag, auf dem G7-Gipfel in Schloss Elmau, benutzt Juncker einen neuen Ton. Als ihn ein Journalist zu Tsipras befragt, sagt er: "Er war mein Freund und er ist mein Freund." Dann fügt er an: "Freundschaft braucht gewisse Regeln, wenn sie bestehen bleiben sollen."
Juncker ist verärgert. Sein Unmut stört die Alpenidylle, die jenseits des Pressekonferenzraumes herrscht. Sattgrüne Almwiesen, Kiefernwälder, schneebedeckte Gipfel, die Landschaft um Schloss Elmau wirkt wie eine Disney-Kulisse. Doch über der Kulisse schwebt ein Thema. Griechenland. Es ist wie eine lästige Fliege, die sich nicht abschütteln lässt.
Warten auf Tsipras
Wie hatte sich Juncker zuletzt bemüht, hatte Vorschläge entwickeln lassen, hatte Tsipras ermuntert, Fördertöpfe der EU anzuzapfen, doch der tat wenig, und in den Expertenrunden, in denen Vertreter von Internationalen Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) teilnehmen, ging es sehr zäh voran. Am Ende mussten die Staatschefs einspringen, so saß Juncker am Montagabend im Kanzleramt, mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem französischen Staatschef François Hollande, IWF-Chefin Christine Lagarde und EZB-Chef Mario Draghi.
Mehr als dreieinhalb Stunden brüteten sie darüber, wie sie die Griechen vor der Pleite bewahren können und welche Reformen nötig sind. Es ging ums Sparen, um einen gelockerten Arbeitsmarkt und eine Rentenreform. Am Mittwoch erläuterte Juncker die Pläne Tsipras. Und wartete. Auf Gegenvorschläge. Erst sollten sie am Donnerstag kommen, versprach Tsipras. Aber sie kamen nicht. Dann am Freitag. Aber sie kamen wieder nicht. Stattdessen hörte Juncker, dass Tsipras die Pläne der Gläubiger in Athen als "absurd" bezeichnet hatte, und er sie nie umsetzen wolle. Am Samstag wollte Tsipras dann mit ihm telefonieren, doch nun wollte Juncker nicht und machte das öffentlich. "Ich muss doch erst die Vorschläge kennen, wenn ich mit ihm rede", sagte er. Juncker, einer der letzten Freunde Griechenlands, ist genervt.
Was will Merkel tun?
Und er fürchtet ein doppeltes Spiel. Es geht um ein heikles Thema: die Rente. Die Gläubigerstaaten drängen auf eine Reform, doch die Griechen sind dagegen. In den vergangenen fünf Jahren hat das Land die Ruhestandsgehälter fünfmal gekürzt, die durchschnittliche Rente liegt heute bei etwa 700 Euro im Monat (Deutschland etwa 1000 Euro); 45 Prozent der Griechen erhalten eine Rente, die mit 665 Euro unterhalb der Armutsgrenze liegt. Gegen weitere Kürzungen wehrt sich Tsipras, ähnlich wie sein Vorgänger Andonis Samaras.
Laut Medienberichten sollen die Gläubigerstaaten verlangt haben, die Renten von Geringverdienern um 800 Millionen Euro zu kürzen. Ein solcher Vorschlag wäre ein Affront, weil Tsipras dem nicht zustimmen könnte. Doch Juncker wollte die Pläne nicht bestätigen. Er sagte nur, dass Tsipras den Griechen nicht alles zu Rentenplänen der Gläubiger gesagt habe. Was das heißt? Juncker will bei den Renten weiter verhandeln und sieht Spielraum. Will Tsirpras keine Renten kürzen, soll er andere Ideen vorlegen.
Und nun? Auf dem Gipfel werden sie weiter über Griechenland reden, besonders US-Präsident Barack Obama wird von Merkel wissen wollen, wie sie das Problem lösen will. Juncker will jedem, der fragt, "eine Antwort geben", sagte er. Nächsten Mittwoch verhandelt er weiter, mit Merkel, Hollande und Tsipras, am Rande des Lateinamerika-Gipfels in Brüssel. Ob es einen Durchbruch gibt? Juncker sagt nur: "Es gibt eine Deadline für Griechenland."