John McCain hat sich näher rangetraut als Barack Obama. Der stand vor einer Woche noch auf einer bombastischen Bühne und sprach vor pseudoantiken Säulen zu seinen Parteifreunden. Die Republikaner aber hatten sich entschieden, ihren Präsidentschaftskandidaten mitten in der Menge zu platzieren, mit Hilfe eines Bühnenausläufers, der T-förmig mitten hinein ins Publikum ragte. Natürlich sollte das Volksnähe symbolisieren. Und natürlich sollte das ganz im Sinne seiner ersten Rede als offizieller Bewerber für das höchste Amt im Staat sein: "Ich war immer Diener dieses Landes und das möchte ich auch als Präsident sein", sagte er in seiner Rede beim Republikaner-Parteitag in St. Paul, Minnesota.
Sicher, John McCain, der 72-Jährige Kriegsheld, ist kein großer Redner, doch diese Eigenschaft münzte er nun um, indem er in einer ruhigen, fast schon milden, nachdenklichen Ansprache für sein Ziel warb. Und das heißt vor allem: Washington braucht den Wechsel. "Lasst mich schon vorab die alte Garde in Washington warnen, die für große Staatsausgaben ist, die nichts tut, die sich an die allererste Stelle und das Land an die zweite Stelle setzt: Der Wechsel kommt. Ich werde die Dinge in Washington wieder in Ordnung bringen, für euch arbeiten", rief er der jubelnden Republikanern zu, die ihrer Begeisterung immer wieder mit "USA, USA"-Rufen Luft verschafften.
"Wir sollten aufhören uns gegenseitig anzuschreien"
Wechsel ist auch der Schlachtruf der Demokraten, und genau wie sie kündigte McCain an, das Land wieder mit sich selbst zu versöhnen: "Wir sollten aufhören uns gegenseitig anzuschreien", sagte er lächelnd, als ein Störer im Publikum für einige Augeblicke die Aufmerksamkeit auf sich zog. Nach seinem Wahlsieg werde er parteiübergreifend allen die Hand entgegenstrecken und das Land wieder aufblühen zu lassen, so McCain. Und, wie zum Beweis, wies er daraufhin, dass seine Vizekandidatin Sarah Palin als Gouverneurin von Alaska Republikaner, Demokraten und Unabhängige an einen Tisch gebracht habe, um die Probleme des Bundesstaates zu lösen: "Lass uns aufstehen und gemeinsam für unsere Zukunft kämpfen", sagte er.
Seinem Kontrahenten Obama zollte McCain in seiner Ansprach Respekt. Trotz aller Differenzen gebe es zwischen ihnen mehr Verbindendes als Trennendes. Vor allem seien sie beide Amerikaner, was für ihn das Wichtigste sei.
Kampf - dieses Wort nahm der Kandidat immer wieder in den Mund und als Symbol dafür, dass die schwierige Lage der USA nur durch ständiges Mühen und Anstrengung zu überwinden sei. Dazu verwies er auf sein eigenes Schicksal als Kriegsgefangener in Nordvietnam, auf seine Großeltern, die sich mit einer Handvoll geliehener Dollar hochgearbeitet haben, aber auch mit Blick auf den Irak-Krieg. Entsprechend versprach er, "bis zum letzten Atemzug für sein Land zu kämpfen".
Was genau er damit meinte, skizzierte McCain eher kurz: Die Steuern sollen gesenkt werden, ebenso wie die Staatsausgaben. Die Löhne dagegen werden wieder steigen, damit die Durchschnittsamerikaner wieder ihre Rechnungen bezahlen könnten. Allerdings, so der 72-Jährige ganz in Sinne der republikanischen Tradition, solle sich der Staat aus möglichst vielem heraushalten und den Bürgern nur ermöglichen, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können. McCain stellte zudem das Thema Bildung in den Mittelpunkt - "die wichtigste Herausforderung im neuen Jahrtausend", wie er sagte.
Außenpolitisch bekräftigte McCain seine bekannten Positionen: Die russische Invasion in Georgien sei zu verurteilen und forderte seine Parteifreunde auf, "für das mutige Volk zu beten". Seine russlandkritischen Worte aber nahm er gleichzeitig die Wucht, als er versprach: "Als Präsident werde ich am Aufbau guter Beziehungen zu Russland arbeiten, so dass wir nicht die Rückkehr des Kalten Krieges zu befürchten brauchen.
Palin hatte soviele Zuschauer wie Obama
Nach 53 Minuten schloss der Republikaner seine Rede unter tosendem Applaus. "Wir werden gewinnen", sagte er optimistisch, und: "Ich kann es nicht abwarten, sie in Washington vorzustellen". Ihren Auftritt einen Tag zuvor hatten rund 37,2 Millionen Fernsehzuschauer in den USA verfolgt. Damit kam sie laut Quotenmessung auf fast so viele Zuschauer wie der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama, der 38,4 Millionen Zuschauer vor die Geräte lockte, und seinen Vizekandidaten Joe Biden klar anhängte. Bei dessen Rede schalteten nur 24 Millionen Zuschauer ein.