Eine Hungersnot im Urlaubsland Kenia? Touristen, die das saftig-grüne Hochland oder die Traumstrände am Indischen Ozean kennen gelernt haben, können sich das nur schwer vorstellen. Doch im Nordwesten des Landes, wo selten ein Reisender hinkommt, sieht die Lage ganz anders aus. Dort ist die Landschaft braun und gelb, die Pflanzen sind verdorrt, und seit einigen Wochen verhungern dort Tiere und Menschen. Kadaver von ausgemergelten Rindern und Eseln liegen auf dem Boden und verströmen einen Ekel erregenden Gestank.
Der Hunger kam nicht unerwartet. In den vergangenen Jahren waren die Hilferufe an die Geberländer zur Weihnachtszeit schon zur Regel geworden. Mehrfach hintereinander fiel während der Regenzeit, die von Oktober bis Dezember dauert, zu wenig Niederschlag. Mindestens 30 Menschen sollen in den vergangenen Wochen schon verhungert sein, die meisten von ihnen Kinder. Menschen und Tiere müssten bis zu 40 Kilometer laufen, um Wasser zu holen, berichten Hilfsorganisationen.
Welthungerhilfe warnt vor einem "zweiten Niger"
Die Deutsche Welthungerhilfe warnt davor, dass Kenia "ein zweites Niger" werden könnte. Dort litt im vergangenen Sommer ein Drittel der Bevölkerung an Hunger, Ärzte behandelten Tausende von dramatisch unterernährten Kindern. Die Dürre trifft nicht nur Kenia, sondern ganz Ostafrika. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) sind in Kenia, Somalia, Dschibuti und Äthiopien elf Millionen Menschen dringend auf Hilfe angewiesen.
Die kenianische Regierung hat die Bekämpfung der Hungersnot zur Priorität erklärt und angekündigt, Mais und Bohnen aufzukaufen und in die betroffenen Regionen zu schicken. Verschiedene Gruppen, darunter Muslime, die in Kenia in der Minderheit sind, und sogar Häftlinge, haben ihrerseits Lebensmittelspenden angekündigt. Regierungskritiker weisen darauf hin, dass das Problem zum großen Teil hausgemacht ist. Es sei nicht so, dass es im Land nicht genügend Essen für alle gebe, betonen Kommentatoren. Das Problem sei die mangelnde Infrastruktur, die die Versorgung der abgelegenen Regionen so schwierig mache.
Touristen, die etwa im Geländewagen zum Massai-Mara-Nationalpark fahren, können sich zumindest ein Bild vom Zustand der Straßen machen. Die Schlaglöcher sind häufig so tief, dass sich Autos über weite Strecken nur im Schritttempo fortbewegen können. Geld für Straßenprojekte ist in den vergangenen Jahren reichlich geflossen, doch ein beträchtlicher Teil davon ist vermutlich in den Taschen korrupter Beamter verschwunden.
Der amerikanische Wirtschaftsexperte Jeffrey Sachs setzt sich ungeachtet massiver Geldverschwendung durch afrikanische Regierungen für eine Aufstockung der Entwicklungshilfe ein. Allerdings plädiert er für "pragmatische Hilfe statt Blankoschecks". Im Norden Kenias betreut er ein Modelldorf, in dem gezielt Landwirtschaft und Infrastruktur gefördert wurden. "Es gibt keine Gratislösung, aber mit vernünftigen Investitionen lassen sich wahre Wunder bewirken", meint er. Die Lebensmittelproduktion sei dort mittlerweile um das Dreifache gestiegen.