Libanon Der Feind in meinem Land

Von Gabriela M. Keller, Beirut
Steht die pro-iranische Hisbollah vor der Machtergreifung im Libanon? Ihre militärische Überlegenheit hat die Schiiten-Miliz bereits demonstriert, aber auch stets beteuert, ihre Waffen niemals gegen die eigenen Landsleute zu richten. Doch nun ist ein neuer Gegner ausgemacht.

Die hastigen Schritte vereinzelter Passanten hallen von den Fassaden der Häuser zurück. Sonst liegt das zentrale Einkaufsviertel Hamra still unter dem klaren Nachthimmel von Beirut. Dunkel gekleidete Männer mit ernsten Gesichtern schreiten vor den Geschäftszeilen entlang und nuscheln in ihre Funkgeräte. Die Milizen der schiitischen Hisbollah sind zwar abgezogen, ihr Sicherheitsdienst jedoch überwacht das Stadtzentrum weiterhin.

Der bewaffnete Aufstand der Hisbollah hat den Libanon an den Rand eines neuen Bürgerkrieges gebracht. Der Schiitenmiliz gelang es jedoch, ihre Position im Laufe der Unruhen massiv zu stärken. Die politischen Machtverhältnisse des Landes haben sich damit drastisch verschoben. Nun blieb dem prowestlichen Regierungsbündnis angesichts der militärischen Übermacht nichts übrig, als die Bedingungen der Opposition für eine Waffenruhe hinzunehmen. Insgesamt sind in den vergangenen Tagen mindestens 61 Menschen ums Leben gekommen; rund 200 weitere wurden verletzt.

Nun ziehen sich dicke Spiralen aus Stacheldraht an den Straßen des Zentrums entlang. Die Checkpoints der Armee tauchen in kurzen Abständen hintereinander auf. Die Soldaten halten ihre Sturmgewehre griffbereit, während sie achtsame Blicke durch die Fensterscheiben vorbeifahrender Autos werfen. Viele Geschäfte im Westen der Stadt haben wieder geöffnet. Langsam wagen sich die Anwohner wieder aus ihren Häusern auf die Straßen.

Schiiten erobern Sunniten-Viertel

Zuletzt rückten die Milizen der Hisbollah und der ebenfalls schiitischen Amal-Bewegung in den vorrangig sunnitischen Westen des Zentrums ein. Die schlecht organisierten, kaum trainierten Regierungsanhänger hielten dem Ansturm nicht lange stand. Zwar lieferten sich die verfeindeten Gruppen hindurch schwere Gefechte mit Maschinengewehren und Panzerfäusten. Doch bereits am Morgen danach war die Schlacht entschieden: Die Hisbollah und ihre Verbündeten hatten Westbeirut unter ihrer Kontrolle.

Auch in der nordlibanesischen Stadt Tripoli und in der Bekaa-Ebene im Osten des Landes flammten Kämpfe auf. Den Widerstand der regierungstreuen Drusen im Libanongebirges südöstlich der Hauptstadt überwand die Hisbollah ähnlich schnell wie den der Sunniten in Beirut. Drusenführer Walid Jumblatt, innerhalb der Regierung einer der streitbarsten Gegner, gab sich kurz darauf geschlagen.

Der Auslöser des Konflikts war der Beschluss des Kabinetts, rechtliche Schritte gegen das private schiitische Telefonnetz einzuleiten. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah nannte die Entscheidung eine "Kriegserklärung". Angesichts der dramatisch zunehmenden Gewalt traf dann die Armee eine Entscheidung: Die Untersuchung des Telefonnetzes werde sie selbst übernehmen, und zwar nur so, wie es "dem Widerstand nicht schadet". Die Regierung akzeptierte den Vorschlag schweren Herzens und auch die Hisbollah zog ihre Kämpfer ab, will ihre Proteste aber weiterfühen, bis die Regierung ihre Beschlüsse komplett zurücknimmt. Das umstrittene Kommunikationsnetz durchzieht mittlerweile das ganze Land und gilt als wichtige Hisbollah-Infrastruktur im ihrem Kampf gegen Israel.

An einigen Schlüsselstellen des Beiruter Verkehrsnetzes hat die Schiitenbewegung Barrikaden errichtet: Mitten auf der Hauptstraße etwa, die den christlichen Osten mit dem muslimischen Westen verbindet, sind Berge von Sand und Steinen aufgeschüttet. Auch der Weg zum einzigen internationalen Flughafen des Landes bleibt abgeschnitten.

In der Lage innenpolitische Interessen mit Gewalt durchzusetzen

Die Hisbollah hat bislang stets beteuert, ihre Waffen niemals gegen die eigenen Landsleute zu richten. Jetzt aber hat die Organisation gezeigt, dass sie in der Lage ist, ihre innenpolitischen Interessen mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Möglicherweise wird sie nicht einlenken, ehe sie weitere Zugeständnisse erzwungen hat - den Rücktritt der Regierung etwa. Seit 17 Monaten verlangt die Schiitenbewegung die Zusammensetzung eines neuen Kabinetts, und darin ein Drittel aller Sitze für sich und ihre Verbündeten. Damit könnte sie alle Entschlüsse blockieren. Das Mehrheitsbündnis lehnt die Forderung daher strikt ab.

Mit ihrem langwierigen Machtkampf haben die prowestliche, sunnitisch dominierte Regierungskoalition und die prosyrische, proiranische Opposition unter Führung der Hisbollah den Libanon zuletzt immer tiefer ins Chaos getrieben. Rivalisierende christliche Parteien sind in beiden Lagern vertreten, halten sich bisher jedoch aus den Gefechten heraus. Gleichzeitig setzen sich in der innenpolitischen Krise die internationalen Konflikte fort: Über ihre jeweiligen Verbündeten messen die USA und der Iran im Libanon ihre Kräfte. Weil keines der beiden Lager bislang genügend Macht hatte, sich durchzusetzen, lähmt der Streit seit Monaten alle politischen Abläufe: Die Regierung ist kaum noch handlungsfähig, das Parlament geschlossen. Seit Ende November hat der Libanon nicht einmal mehr einen Präsidenten. 19 Termine zur Wahl eines Staatsoberhauptes sind gescheitert.

Immer kürzere Abstände zwischen den Gewalt-Ausbrüchen

Zuletzt hatten sich die Spannungen deutlich zugespitzt in diesem Land, das seine Zerrissenheit seit seinen Bürgerkriegsjahren 1975 bis 1990 nie überwunden hat. Bereits seit Monaten kommt es in immer kürzeren Abständen zu Ausbrüchen von Gewalt. Während der aktuellen Unruhen nahm der Konflikt zunehmend konfessionelle Züge an. Nur verlaufen die Frontlinien heute nicht mehr zwischen christlichen und muslimischen, sondern zwischen sunnitischen und schiitischen Vierteln.