Eigentlich hatte ich auf dem Regiestuhl so ein feenhaftes Wesen im roten Sari und mit klingelnden goldenen Armreifen erwartet; Spindeldürr wie Filmstar Carina Kapoor oder überirdisch schön geschminkt wie Aishwara Raj. Bollywood eben. Da sitze ich nun in einer warmen Nacht draußen in Filmcity, Mumbais großer Traumfabrik. Ein riesiges Areal mit vielen Studios mitten im tropischen Wald am Rande der 19 Millionenstadt Mumbai. Auch ein paar Müllkippen gibt's und die riesige Aaron Milk Farm um die Ecke. Einmal meine ich, in der Ferne ein paar heilige Milchkühe muhen zu hören, aber vielleicht ist es nur der Lärm auf dem Open-Air-Set, wo gerade hunderte von Bühnenarbeitern, Beleuchtern, Kameraleuten, Statisten und Schauspielern durcheinander wuseln. Und viele Kinder. Niemand scheint zu wissen, was, wann, wo abgeht. Ganz normal für Bollywood.
Plötzlich fliegt ein kleiner grüner Army-Rucksack auf den Plastikstuhl neben mir, dann kommt das Scrapbook mit den handgezeichneten Filmszenen angesegelt. Und dann sehe ich eine grüne Tarnanzughose vor mir stehen, in der eine hübsche junge Inderin steckt: Manika Sharma, die Regisseurin. Knappe dreißig, könnte auch jünger sein. Riesige dunkle Augen, schwarze lange Haare, sportliche Figur. Sieht nach Power Yoga aus. Ein richtiges Bombay girl, nur eben in Tarnanzug und Top statt im Sari. Eine der wenigen jungen Frauen, die sich im testosteronhaltigen Haifischbecken namens Bollywood auf den Regiestuhl traut!
Geht nicht" gibt's bei ihr nicht
Ihr Vorteil Nummer eins: sie beherrscht die Kunst, Schranken aller Art, ob Kaste, Hautfarbe oder Kultur einzureißen. In Sekunden. Die auch die sonst so gescholtene Presse, also mich, gleich herzlich und stürmisch begrüßt und mir einen Tee bringen lässt. Süßer Tee bei Tag und Nacht gehört zu Bollywood wie Espresso zu Italien. Nummer zwei: Das Wörtchen "Geht nicht" gibt's bei ihr nicht. Langes Kopfwiegen, was bei Indern ja, jein oder nein heißen kann, hat sie sich als Studentin auf der renommieren Vancouver Film Academy in Kanada abgewöhnt. "Chalo!" ist ihr Lieblingswort in hindi, zu deutsch "los geht's!" Kamera ab!? Noch nicht ganz. Denn da kommt ein Dutzend Kinder in bunten Gewändern gelaufen.
Sie umarmen die junge Frau, die seit Monaten für sie wie eine große Schwester, eine Kindergärtnerin mit Kamera ist, hängen ihr um den Hals wie kleine Kletten. Dhruv zeigt ihr sein neustes Handy, die Kleine mit der Harry-Potter-Brille grinst durch ihre neue Zahnklammer, ein anderes Mädchen hält der Jungfilmerin ein kitschiges blau gerüschtes Kleid vor die Nase. Extra von der Cousine geliehen, sagt es stolz. "Nein, wehrt Manika taktvoll ab, " ich hab ein noch viel schöneres in lindgrün für dich. Zieh dich um, Shivani, du bist gleich dran!" " Meine Stars!" sagt Manika und stellt mir die restliche Gruppe von Zwölfjährigen vor, die vor Aufregung quietschen, giggeln und hin- und herhüpfen. Obwohl sie doch gerne cool sein möchten.
Die Autorin
Als Swantje Strieder vor einigen Jahren, damals für den "Spiegel", aus Indien berichtete, waren Hungersnöte, Mitgiftmorde und Grenzkriege die beherrschenden Themen. Nach Zwischenstationen in Rom, New York und Hamburg ist sie wieder nach Indien zurückgekehrt und lebt in der Mega-City Mumbai. Vom mühsamen und doch faszinierenden Alltag berichtet sie jede Woche in ihrer "Mail aus Mumbai".
Unbekannt ist sie in Bollywood nicht
Stärke Nummer drei: Neue Themen anzupacken, ein neues Genre, einen Fantasiefilm mit Kindern zu wagen, das kann auch eine Risikonummer werden. In Bollywood, wo sich doch fast alle Filme nur um das Eine drehen, nämlich ob die hübsche Sie und der gutaussehende Er sich nach vielen Songs, Tanzschritten und sittsam angetäuschten Küssen kriegen oder nicht, ist echter Nachwuchs auf der Bühne eine Rarität. Nicht so bei Manika. "The Wishing Tree", der Zauberbaum sei ihr erster großer eigener Film, sagt die junge Regisseurin, nachdem sie sich aus den Umarmungen der Kleinen befreit hat. Idee, Regie, Script- alles von ihr. Das macht es natürlich auch billiger. Und die Finanzierung? Schwierig, schwierig, sagt Manika nur.
Sie ist jung, doch unbekannt ist sie in Bollywood nicht. War sie doch die rechte Hand für Regisseur Santosh Sivan bei dessen opulenten historischen Filmopus über Kaiser Ashoke. Sie drehte mit Superstars wie Amitabh Bachchan, Kürzel "Big B" und Shah Rukh Khan hochgelobte UN-Spots zur AIDS-Aufklärung. Für ihren ersten eigenen Film hatte SRK, wie Shah Rukh Khan hier heißt, ihr sogar einen Gastauftritt zugesagt. Der immer wieder verschoben wurde. "Er ist ein toller Typ, ich kenne ihn", sagt sie tapfer, "aber SRK ist halt wahnsinnig beschäftigt". Jeder weiß, dass Top oder Flop in der Branche von einer noch so kleinen Einlage der ganz Großen abhängt. Davon, ob Shah Rukh Khan einmal unterm Zauberbaum steht oder singt. Und dafür groß auf dem Billboards steht.
Manika glaubt fest an den Erfolg
Die Handlung ist einfach: eine Parabel über Kindheit, Träume von Aufstieg und Glück und die alltägliche Umweltzerstörung unseres Planeten. Fünf indische Kinder finden in den Bergen einen Zauberbaum, der ihnen ihre Herzenswünsche erfüllt, aber der von bösen Holzbaronen gefällt werden soll. In Nordindien, gäbe es tatsächlich so einen heiligen Urwaldriesen, unter dem schon Lord Buddha gesessen haben soll, sagt Manika, ihr Studiobaum sei nur ein Kunstgewächs aus Glasfiber und Plastik, aber magisch sei er irgendwie schon. Klingt mehr nach Greenpeace oder Enid Blytons Fünf Freunde-Büchern als nach Indien. "Wieso?", sagt Manika, "wir haben in unserer Mythologie soviel Weisheit, Farbe und Magie. Das habe ich halt nur in die Moderne übertragen." Und haben die Filmbosse nicht vor ein paar Jahren über einen seltsamen kleinen Kerl namens Harry Potter gelacht? Manika glaubt fest an den Erfolg, an den Welterfolg vom Zauberbaum. Der Film sei zu 96 Prozent fertig! Chalo, los geht's!
Silence! Ruhe! Kamera ab! Vor der Kulisse, einem hellerleuchteten Casino, schwirren echte Fledermäuse. Shivani, das Mädchen, das jetzt ein grünes Kleid über den mageren Schultern trägt, entsteigt einem schwarzen Mercedes und schwebt wie ein Star die Empore empor. Traumszene im doppelten Sinn, das magere Kind halluziniert sich aus dem tristen Kellerkinddasein in die Glitzerwelt der Stars. Manika kontrolliert die Einstellung auf den Monitor. Ist nicht zufrieden. "Wir drehen solange, bis du happy bist", seufzt Rajeev, ihr Kameramann. Fünf Mal wird die Szene wiederholt. Erst haben die Bühnenarbeiter den schwarzen Mercedes nicht in die richtige Ecke gerollt. Dann waren die Claqueure an der Empore, die Shivanis Auftritt bejubeln sollten, abgelenkt. Mal waren die Zweige eines echten Baumes der Kamera im Weg. Dann waren die Nebelkerzenwerfer- in Bollywood ist das noch Handarbeit, wo vier Männer Holzkohle in kleinen Becken anzünden und dann den hellen Rauch mit Blasebälgern verteilen- einfach zur Teepause entschwunden. Schlimmer wie im Zirkus, stöhnt Manika. Chalo, weiter geht's! Gegen Mitternacht hat sie dunkle Ringe unter den Augen, Rajeev, der Kameramann mault. Nur die Kinderstars sind noch begeistert bei der Sache. Bis auf den kleinen Mihir. Wir finden ihn selig schlummernd am Fuße der Empore.
PS: Ein paar Wochen später ruft Manika mich an. Klingt aufgedreht. Ja, der Film sei jetzt zu 98 Prozent fertig. Es fehlten nur noch die Songs. Und Shah Rukh Khan. Und die letzte Finanzierung. Manika, wie hältst du dieses Leben nur aus? Kurze Pause. "Meine Eltern möchten mich gerne verheiraten. Zuviel Stress als Mädchen allein, finden sie. Bollywood sei doch eine Männerwelt." Sie stockt. "Aber was soll ich mit einem Ehemann, der mich wie ein Aschenputtel behandelt und ins Haus einsperrt?" Pause. Dann erzählt sie mir von einem tollen neuen Regieangebot. Wieder ein Fantasiefilm. Wieder mit Kindern. Und lädt mich zur Premiere vom "Zauberbaum" ein. Wann? Wo? Da hat sie schon aufgehängt.