Manuel Marulanda Der letzte große Guerillero

Von Toni Keppeler
Für seine zahlreichen Feinde war er ein "Narkoterrorist ": einer, der mordete und bombte, der entführte und mit Kokain dealte. Stimmt auch alles. Und doch war Pedro Antonio Marin alias Manuel Marulanda der letzte große lateinamerikanische Guerillero - bis ihn ein Herzinfarkt aus dem Leben riss.

Regierung und Armee von Kolumbien haben ihn schon oft für tot erklärt und damit ungewollt zu seinem Ruhm beigetragen. Doch jetzt haben es die "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (Farc) bestätigt: Ihr Gründer und historischer Führer Pedro Antonio Marin, besser bekannt unter seinen Decknamen Manuel Marulanda und Tirofijo, ist am 26. März um 18:30 Uhr an einem Herzinfarkt gestorben. Wie alt er wurde, weiß man nicht. Als Geburtstage kursieren der 12. und 13. Mai, als Geburtsjahre 1928, 1930 und 1932. Solche biografischen Unsicherheiten tragen bei zur Legendenbildung, und Marulanda war die letzte lebende Guerilla-Legende. Sechzig Jahre seines Lebens hat er bewaffnet im Dschungel verbracht. "Er ist jetzt sicher in der Hölle", sagte Verteidigungsminister Juan Manuel Santos, als er nun den Tod des meist gesuchten Mannes Kolumbiens bekannt gab.

Es wird Präsident Alvaro Uribe wurmen, dass er seiner nie habhaft werden konnte, dass der Guerilla-Chef einfach eines ganz natürlichen Todes starb. Tirofijo war Uribes Todfeind, das Böse schlechthin. Und weil die Farc ihren Krieg mit Drogengeldern und Entführungen finanziert, hatte Marulanda auch international selbst unter Linken keine Freunde. Im Hinterland von Kolumbien aber, in den im Dschungel versteckten Dörfern, die Jahre lang von der Guerilla beherrscht wurden, da spricht man mit Respekt von "El Viejo", dem Alten. In seinen erfolgreichsten Zeiten beherrschte Marulanda die Hälfte des kolumbianischen Staatsgebiets und ist dabei trotzdem ein einfacher Campesino geblieben. Ein Bauer, klein und gedrungen, der nie eine Stadt gesehen hat, die mehr als 100.000 Einwohner zählte. Einer, der in Gummistiefeln durch den schlammigen Urwald schlurfte und stets ein Handtuch über die Schultern trug, um sich den Schweiß abzuwischen und die Moskitos zu vertreiben. Einer, der nicht viel redete und nie die Öffentlichkeit suchte.

In den wenigen Interviews, die er gab, sprach er meist vom Frieden. "Ich habe nie den Krieg gesucht", sagte er. "Es war der Krieg, der mich gesucht hat." Er habe gelernt, dass in Kolumbien für Männer wie ihn "der bewaffnete Aufstand die einzige Möglichkeit des Überlebens ist." Dort, wo Marulanda herkommt, war diese Einsicht im vergangenen Jahrhundert meist eine bittere Wahrheit.

Marulanda wurde in Genova geboren, einem Dorf in der Kaffee-Zone im Westen Kolumbiens. Großgrundbesitzer sind dort steinreich, die Bäuerchen bitter arm. Marulanda war ein Sohn armer Bauern - maulfaul, misstrauisch und schon als Kind ein sicherer Schütze. Sein Spitzname "Tirofijo" stammt aus dieser Zeit. Er bekam ihn, weil er jeden Vogel mit einem einzigen Schuss vom Baum holen konnte.

Zehn Jahre dauerndes Gemetzel zwischen Fußvolk der Liberalen

Der Krieg fand Marulanda 1948. In der Hauptstadt Bogota wurde der Präsidentschaftskandidat der Liberalen Partei Jorge Eliecer Gaitan ermordet. Dem Attentat folgte ein zehn Jahre dauerndes Gemetzel zwischen dem Fußvolk der Liberalen und der Konservativen Partei. In der kolumbianischen Geschichtsschreibung heißt dieses Jahrzehnt "La Violencia": die Zeit der Gewalt. Die reichen Familien der Städte rekrutierten Milizen auf dem Land und ließen ihren Streit von den Armen ausfechten. Marulanda kämpfte auf der Seite der Liberalen - und fühlte sich am Ende von diesen verraten. Er wollte nicht mehr den Kopf für die feinen Leute hinhalten, sondern nur noch für seine eigene Sache. 1964 gründete er die Farc.

Die Rebellentruppe entstand zwar im Umfeld der Kommunistischen Partei, doch Marulanda war nie ein orthodoxer Marxist. Er redete nie von sozialistischen Revolutionen und schon gar nicht von dialektischem Materialismus. Es ging ihm um eine Landreform zu Gunsten der Kleinbauern, um Gesundheit und Bildung für die Armen und - das zumindest sagte er - um den Frieden. Mit mehreren Präsidenten hat er über ein Ende des Bürgerkriegs verhandelt. Aber dann ließ er doch alle Verhandlungen scheitern, weil er Politikern nie über den Weg traute. Sie hatten ihn immer nur benutzt und hintergangen. In der Zeit der Gewalt und auch später, als die Farc 1985 zusammen mit Kommunisten die Partei "Patriotische Union" gründete, um statt mit Waffen mit legalen Mitteln weiterzustreiten. 3000 Parteimitglieder wurden von Todesschwadronen ermordet.

Ein Gesetzloser in einer gesetzlosen Welt

In den ersten Jahrzehnten seines Kriegs war Marulanda ein rebellischer Bauer; ein Gesetzloser in einer gesetzlosen Welt und fast ein bisschen ein Robin Hood. Lange soll er sich dagegen verwahrt haben, seinen Kampf mit Drogengeldern, Erpressung und Entführung zu finanzieren. Irgendwann tat er es doch. Hehre Guerilleros gibt es nur in Romanen, Filmen und Träumen. Wirkliche Kriege aber sind schmutzig, da gibt es keinen Platz für strahlenden Helden. Marulanda lebte sechzig Jahre in diesem Dreck. Er wusste, dass er nie gewinnen würde. Aber er wusste auch: Wenn er verliert, ist er tot. Also kämpfte er weiter, bis er starb.

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