Gewehrpatronen, Bomben und Granaten dröhnen durch die Nacht. Von einer Minute auf die andere hat sich die Ruhe in der nigerianischen Wirtschaftsmetropole Lagos in ein Inferno verwandelt. Glutrotes Flackern legte sich über den Stadtteil Ikeja. Es soll ein kleines Feuer in einer Suppenküche gewesen sein, das am Sonntagabend die Explosionsserie in dem Munitionslager der Armee auslöste. Hunderte Menschen sollen auf der Flucht ertrunken sein, mindestens zwölf Soldaten starben durch die Detonationen.
»Wieder und immer wieder«, sagt ein Augenzeuge, »hat es gerumst, als bebte die Erde.« Die Wucht des Infernos war so stark, dass sogar 30 Kilometer weiter noch Fensterscheiben zersprangen. Mit dem ohrenbetäubenden Detonationsgebrüll im Rücken rannten tausende Menschen teilweise barfuß panisch vor dem tödlichen Feuerwerk davon. Viele fanden Unterschlupf in Kasernengebäuden der Region im Süden der Millionenstadt. Andere versuchten aber auch, über die Wasserarme der Lagunenstadt zu gelangen. Unbestätigten Augenzeugenberichten zufolge sollen dabei Hunderte von Menschen ertrunken sein.
»Das Unglück hätte vermieden werden können«
Der Tag danach: Soldaten durchkämmen das Meer von Glas und Trümmern nach weiteren Opfern. Politiker wehren den Verdacht eines Putschversuchs ab. Da kommt die erste Kritik: »Das Unglück hätte vermieden werden können«, sagen Kenner
des Munitionslagers. »Es war ein offenes Geheimnis, dass das Lager in einem völlig maroden Zustand war«, berichtet ein Journalist der großen nigerianischen Tageszeitung »Guardian«. Bereits vor Jahren habe die Armee angekündigt, das Lager zu sanieren. »Wie«, fragen sich Anwohner, »konnte ein kleines Feuer in einer Suppenküche eine derartige Katastrophe ausrichten?«
»Dabei sind auch hochkalibrige Bomben«
Der Brand sei vom angrenzenden Straßenmarkt leicht über die Mauer in das Depot gelangt, in dem alles aufbewahrt worden war, was die nigerianische Armee zu bieten hat. »Dabei sind auch hochkalibrige Bomben«, sagt ein General, George Emdin. »Die Brigade von Ikeja umfasst Panzereinheiten. Es ist das Hauptnachschublager für Munition von T 55- und Leopardpanzern.«
Die Geschosse sollten eigentlich allenfalls in der Not von nigerianischen Friedenstruppen in den nahe gelegenen Bürgerkriegsländern Sierra Leone und Liberia eingesetzt werden. Nun richteten sie sich gegen Teile der eigenen 120-Millionen-Bevölkerung.
Am Montag irren noch immer zahlreiche verängstigte Kinder durch das Viertel, das eine Mischung aus Armeebaracken und Industriegebäuden prägt. Im Durcheinander der Flucht haben sie ihre Familien verloren. »Wir wissen nicht, wie hoch die Opferzahl wird«, sagt am Nachmittag ein Sprecher der Gesundheitsbehörden in Lagos, Leke Pitan. »Aber wir ahnen schon jetzt, dass sie dramatisch werden könnte.«
Ethnische und politische Konflikte
Ein erschütterter Präsident Olusegun Obasanjo ordnet am Unglücksort eine sofortige Untersuchung an. »Priorität muss allerdings die Suche nach den Familien hunderter Kinder haben, die in dem Tumult verloren gegangen sind«, sagt er. Seit er das Land vor drei Jahren zurück in die Zivilregierung führte, geriet Obasanjos Regierung zunehmend in die Kritik. Alleine in den letzten Monaten starben mindestens 3000 Menschen in ethnischen und politischen Konflikten. Seit Ermordung des höchsten Richters im Dezember herrschen Spannungen im Süden des Landes.
Gerade der Stadtteil Ikeja der ehemaligen Hauptstadt gilt als Keimzelle für Militärcoups. Seit dem ersten Putsch in Nigeria im Jahr 1966 wurden in den dortigen Kasernen noch zahlreiche weitere gestartet.