Saint-Imier "Antiautoritäre Internationale": In einem Schweizer Uhrmacherdorf feiern Anarchisten 150 Jahre Weltkongress

Zelte der Teilnehmer stehen während des internationalen antiautoritären Treffens "Anarchy 2023" auf dem Campinggelände
Zelte der Teilnehmer stehen während des internationalen antiautoritären Treffens "Anarchy 2023" auf dem Campinggelände
© Peter Klaunzer/KEYSTONE / DPA
Bis zu 4000 Anarchisten feiern in einem kleinen Schweizer Örtchen ihren 150. Weltkongress – wegen der Corona-Pandemie etwas verspätet. Die "Antiautoritäre Internationale" stellt aber klar: Anarchie bedeutet nicht Chaos.

Ein kleines Schweizer Uhrmacherdorf wird diese Woche zur Anarchistenhochburg. In Saint-Imier mit rund 5000 Einwohnern werden bis zu 4000 Anarchistinnen und Anarchisten aus zahlreichen Ländern erwartet. Sie feiern mit einem Jahr Verspätung 150 Jahre "Antiautoritäre Internationale". Die Bewegung wurde 1872 bei einem Kongress in dem Dorf gegründet. Er fand aus Protest gegen Karl Marx und seinen als autoritär empfundenen Führungsstil der Arbeiterbewegung statt. Die geplante Feier im vergangenen Jahr wurde wegen der Corona-Lage verschoben.

Schon vor dem Auftakt am Mittwoch stellte der Verein "150 Jahre Kongress von Saint-Imier" klar: Anarchisten lehnen staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Autorität zwar ab, aber Anarchie bedeute nicht Chaos. Deshalb gibt es klare Ansagen: "Campingplätze sind Schlaf- und nicht Partyplätze: Ab 23 Uhr ist mit einer ruhigen Atmosphäre zu rechnen", schreibt der Verein auf seiner Webseite.

Anarchisten feiern Jubiläum mit Workshops

Auf dem Programm bis Sonntag stehen Dutzende Konzerte, Film- und Theatervorführungen sowie mehr als 300 Workshops. Ein Thema ist: "Wie können Anarchisten mit Massenüberwachung umgehen?". Ein anderes, die Wurzeln der Anarchie in Beziehungen mit mathematischen Modellen zu ergründen. Als Workshop aufgeführt ist auch "Aktionsklettern: Lerne die wichtigsten Knoten und wie du am Seil auf- und absteigst."

Die Uhrmacher in der Region wurden im 19. Jahrhundert unzufrieden, weil sie eine Proletarisierung ihrer Arbeit erlebten, wie der Historiker Florian Eitel in der Studie "Anarchistische Uhrmacher in der Schweiz" schrieb. Sie waren offen für die Ideen des Marx-Gegners Michail Bakunin, der mit rund einem Dutzend Mitstreitern in Saint-Imier Station machte. Der russische Revolutionär und seine Truppe warfen Marx diktatorischen Zentralismus vor. "Die Zerstörung aller politischen Macht ist die erste Pflicht des Proletariats", erklärten sie auf dem Kongress in Saint-Imier, beschlossen die Anarchie als Ziel und revolutionäre Streiks, um das zu erreichen.

Der große Erfolg der Bewegung blieb aber aus. In Saint-Imier gibt es noch eine "rue Bakounine", nach der französischen Schreibweise des Revolutionärs – eine Sackgasse.

DPA
rw