Singapur Das Sexmessen-Weihnachts-Chaos

  • von Michael Lenz
Singapur steht in diesen Tagen ganz im Zeichen des X-Faktors: Xmas und Sex. Das Zentrum des Stadtstaates erstrahlt im weihnachtlichen Lichterglanz, gleichzeitig lockt die Sexmesse "Sexpo". Dabei können viele Einwohner weder mit Sex noch mit Weihnachten viel anfangen.

Die Einkaufs- und Prachtstraße Orchard Road ist ein Lichtermeer. Riesengroße Plastikweihnachtsbäume prangen vor Shoppingpalästen wie dem Paragon oder Raffles City. "Tropical Christmas" heißt die Lichtorgie, die der südostasiatische Stadtstaat mit Hilfe von Sponsoren seit über zwei Jahrzehnten veranstaltet. 20 Prozent der Besucher Singapurs in den Monaten November und Dezember kommen wegen der tropischen Weihnachtswunderwelt nach Singapur und bescheren den Shopping Malls und Hotels volle Kassen.

Kinderspaß in den Kaufhäusern

Die Geschäftswelt Singapurs hat Weihnachten als Konsummagnet entdeckt. Geschenke mag jeder, besonders Kinder. Gleich welcher Religion sie angehören. Den die überwiegende Mehrheit der Bürger Singapurs sind Buddhisten. Die nächsten beiden großen Religionsgruppen sind die Hindus und Moslems. Christen sind der Minderheit.

Trotzdem gibt es viel Kinderspaß auf der Orchard Road und in den Kaufhäusern. Chöre singen weihnachtliches, in Raffles City geht die große Barbie-Show über die Bühne, Mitte Dezember wird eine große Parade über die Orchard Road Tausende von Schaulustigen anlocken. Die Werbung tut alles in ihrer Macht stehende, um die Schaulust von Groß und Klein in die Lust zum Kauf von Handys, Computern, Digitalkameras, iPods und Mode umzuwandeln.

Christliche Feste sorgen für Geld in der Kasse

Es geht immer um Geld in Singapur. Der Stadtstaat wird von der Regierung wie ein Unternehmen geführt. Wenn Weihnachtsrummel saftige Einnahmen verspricht, dann werden eben Girlanden aufgehängt und bis zum Erbrechen Jingle Bells gespielt. Bloß, Weihnachten ist weder das ganze Jahr noch ist das Familienfest geeignet, Singapur von seinem Ruf einer todlangweiligen Stadt mit einem faden Nachtleben zu befreien. Also hat die Regierung einen gesellschaftspolitischen Öffnungskurs beschlossen. "Unsere Gesellschaft muss offener werden … um Hoffnungen einer neuen Generation zu erfüllen", verkündete Singapurs stellvertretender Premierminister Lee Hsien Loong.

Ziel ist es nicht nur, noch mehr Touristen anzulocken. Mehr Freiheit und Lockerheit ist zunehmend auch ein wichtiger Standortfaktor beim Buhlen um dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland, die Singapur dringend für seine Ambitionen, wie zum Beispiel das biomedizinische Zentrum Asiens zu werden, benötigt. Auf der anderen Seite sollen die eigenen Leute zum Bleiben bewegt werden. So mancher der jungen, gut ausgebildeten Singapureaner ist es nämlich Leid, dass Vater Staat vom Liebesleben bis zum Kaugummikauen in so ziemlich alle Bereiche des Alltagslebens reinregiert, und verlässt lieber seine dröge Heimat, um in lebenslustigeren Gefilden wie Hongkong, Shanghai, Bangkok oder Sydney sein Geld zu verdienen.

Natürlich haben die Singapureaner Sex. Aber über Sex spricht man nicht. Vieles von dem, was Spaß macht, ist per Gesetz verboten und von der Zensur verbannt. Bis vor kurzem stand die Zeitschrift "Cosmopolitan" wegen Förderung der Promiskuität auf dem Index, die Kultserie "Sex and the City" flimmerte gar nicht erst über die Bildschirme.

Die Idee einer Sexpo des Medizintechnikunternehmers Kenny Gohs kam also zur rechten Zeit, um als ein Beweis für den neuen, weltoffenen Kurs zu dienen.

Sex sells - das hat auch die Regierung erkannt

Sex ist ein Tabuthema. Sex aus Spaß an der Freud fand die Regierung der ehemaligen britischen Kolonie mit ihrem von viktorianischer Prüderie geprägten Sexualstrafrecht bislang wahlweise unasiatisch oder unchinesisch. Analverkehr: verboten. Oralverkehr: verboten. Homosexualität: verboten. Jetzt hat im Zuge der Öffnungspolitik die Regierung einen "Wertewandel" entdeckt und angekündigt, Anal- und Oralsex zu entkriminalisieren. Allerdings nur für Heterosexuelle. Der Wertewandel gehe nicht soweit, dass auch Schwule und Lesben akzeptiert würden, befand das Innenministerium. Deshalb bleibe Homosexualität verboten.

Ausgerechnet ein Sexualwissenschaftler aus der Volksrepublik China schreibt dem mehrheitlich chinesischen Singapur jedoch ins Stammbuch, dass die Chinesen keineswegs erotische Kostverächter sind. "Zu Chinas Kultur gehört auch die Sexkultur", betonte Professor Dalin Liu zur Eröffnung der ersten Sexpo vor einem Jahr. Zum Beweis hatte der 73 Jahre alte Wissenschaftler (Träger der "Magnus-Hirschfeld-Medaille" der "Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung") einige antike Beispiele erotischer Kunst aus seinem Sexmuseum bei Shanghai mitgebracht. "Ich habe über 4000 erotische Objekte aus 6000 Jahren chinesischer Geschichte in meiner Sammlung", sagt Dalin Liu und fügt hinzu: "Darunter auch viele, die gleichgeschlechtlichen Sex zeigen. Aber die darf ich hier in Singapur natürlich nicht zeigen."

Nur Noppen sind erlaubt

Alison Tang und ihr Freund Vincent Heng sind enttäuscht von der Sexpo. "Ich hatte gehofft, die neuesten Sexspielzeuge zu sehen", sagt Tang. Ihr Freund seufzt: "Das wird noch Jahre dauern, bis man hier Toys zeigen darf." Die Auflagen sind streng. Es darf nichts gezeigt werden, was laut Gesetz "obszön" ist, wie zum Beispiel naturgetreue Nachbildungen menschlicher Sexualorgane. Quietschbunte Dildos jedoch mit allerlei Noppen und Haken sind kein Problem. Die sind ja nicht naturgetreu. So buhlen Samenbanken, Dessoushändler, Internetdatingportale, Produzenten von chinesischen Kräuterpillen zur Steigerung von Lust und Potenz und medizinische Experten zum Thema Erektionsprobleme um die Gunst der Sexpo-Besucher.

Präsent ist aber auch der Xmas-Faktor. Im bunten Rahmenprogramm ließen ein weißer Teufel und zwei kesse Weihnachtsengel auf der Bühne die erotischen Wunderkerzen sprühen.

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