Bis vor kurzem hat Anna Ngonyani nicht gewusst, dass es in Tansania mehr als nur eine Partei gibt. Allein die regierende Partei der Revolution (CCM) ist allgegenwärtig in Ngonyanis Heimatdorf im Südwesten des ostafrikanischen Landes, doch rechtzeitig zur Parlaments- und Präsidentenwahl in diesem Jahr haben eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen mit Unterstützung der Vereinten Nationen eine breite Aufklärungskampagne gestartet.
"Es gibt hier einen großen Aufholbedarf", sagt Susanne Ngahyoma, deren Organisation Taaluma die Wahlaufklärung im Bezirk Mbinga übernommen hat, wo auch Anna Ngonyani lebt. "Einige Bürger in den ländlichen Gebieten kennen nur die CCM und wissen nicht, dass sie wirklich die Wahl haben. Obwohl sich auch in ihrem Wahlkreis Kandidaten verschiedener Gruppierungen bewerben, bekomme ich immer wieder zu hören: 'Wir haben hier doch gar keine anderen Parteien.'" Zwar wurde in Tansania bereits vor 13 Jahren das Mehrparteiensystem eingeführt, doch ist die CCM in Teilen des Landes noch immer die einzige, die sich in der Wählerschaft Gehör verschaffen kann.
Stichwort Tansania
Tansania ist mit 945.087 Quadratkilometer fast dreimal so groß wie Deutschland. 45 Prozent der 35 Millionen Einwohner sind Christen, 35 Prozent Muslime. Die jetzige Präsidialrepublik ist seit 1963 unabhängig. Das Staatsoberhaupt wird alle fünf Jahre gewählt. Der derzeitige Präsident Benjamin Mkapa ist seit 1995 im Amt.
Nur in wenigen Regionen wie in der halbautonomen Inselgruppe von Sansibar und Pemba ist die Vereinigte Bürgerfront (CUF) eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Die mehr als ein Dutzend weiteren Parteien schneiden noch schwächer ab. "Die CCM ist sehr stark und sie hat mehr Geld für einen großen Wahlkampf als andere", sagt Ngahyoma.
Poster der CCM-Parlamentskandidaten hängen in Mbinga an den Hauswänden und in den Wohnzimmern. Überall zu sehen sind Fahnen und Plakate von Präsidentschaftskandidat Jakaya Kikwete, dessen Wahlsieg bereits als sicher gilt, und das Gelb-Grün der Partei ist zur Modefarbe der Saison geworden. Männer tragen T-Shirts mit dem Konterfei Kikwetes, und Frauen hüllen sich in traditionelle Wickeltücher mit CCM-Aufdruck.
Ein guter Abgeordneter muss ein offenes Ohr haben
"Wir versuchen, den Leuten zu vermitteln, dass ihre Stimme wertvoll ist", sagt Susanne Ngahyoma. "Sie müssen sich bewusst machen, dass ihr Abgeordneter immerhin fünf Jahre lang für sie im Parlament sitzen wird. Also müssen sie sich den Kandidaten, für den sie stimmen wollen, vorher genau anschauen", sagt sie. "Die Wähler sollen sich jemanden aussuchen, der sich wirklich für sie einsetzt. Ein guter Abgeordneter muss ein offenes Ohr haben und die Probleme und Bedürfnisse seiner Wähler kennen."
Leere Versprechungen von wahrem Engagement zu trennen sei häufig schwierig, räumt Ngahyoma ein. Aber ihre Organisation versucht, den Wählern Hilfestellungen zu geben. "Hinterfragen, hinterfragen, hinterfragen", ist einer der Tipps. "Fordert die Kandidaten heraus! Stellt Fragen, um euch ein besseres Bild machen zu können!"
Besondere Aufmerksamkeit widmet die Aufklärungskampagne unter dem Motto "Mündiger Bürger" dem Thema Stimmenkauf. Wo ist die Grenze zwischen Korruption und kleinen Dankeschön-Geschenken an die Wähler? Was sind Wähler dem Kandidaten schuldig, der ihnen Geld oder Lebensmittel zukommen lässt?
"Deine Stimme bleibt immer dein Geheimnis", so Ngahyoma. "Auch das versuchen wir den Wählern zu vermitteln. Es ist eine Sache, aus Armut ein Pfund Zucker anzunehmen, und eine andere, dafür seine Stimme zu verkaufen." Ngahyomas Worte fallen bei den Wählern auf fruchtbaren Boden. Die Informationen über die Rechte und Pflichten der Bürger und über das Wahlsystem seien für sie sehr wertvoll, sind sich die Zuhörer einig.
"Es ist gut, einen Einblick in die Spielregeln des Wahlkampfs und der Wahl bekommen zu haben", sagt auch Anna Ngonyani. An ihrer Entscheidung, bei der inzwischen dritten Mehrparteienwahl in Tansania für die CCM zu stimmen, hält sie weiter fest: "Diese Partei hat schon viel für uns getan", sagt sie. "Ich zähle darauf, dass sie sich auch weiter für uns einsetzt - und dass sie uns bald eine Straßenverbindung und Trinkwasser bringt."