Im Streit um das Tragen von Kopftüchern an türkischen Universitäten hat das Verfassungsgericht in Ankara Regierungschef Recep Tayyip Erdogan eine schwere Niederlage beigebracht. Erdogans Vorstoß, das Tragen von Kopftüchern an Hochschulen zu erlauben, verstoße gegen die Grundprinzipien der türkischen Republik und die Verfassung. Das entschieden die Richter am Donnerstag. Erdogan und seine islamisch-konservative AKP hatten den Wählern über Jahre versprochen, dass Frauen an Universitäten wieder Kopftücher tragen dürfen.
Die Richter verwiesen bei ihrer Entscheidung auf Artikel 2 der Verfassung. Darin wird Bezug auf die von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk verfügte Trennung von Staat und Religion genommen. Sie gaben damit einer Klage statt, die unter Führung der oppositionellen Republikanische Volkspartei CHP angestrengt wurde. Diese beansprucht für sich die Rolle als Hüterin des politischen Erbes Atatürks.
Vorentscheidung im Verbotsverfahren
Nun können junge Studentinnen ihre Kopftücher wieder einpacken, nachdem einige Hochschulen das Tragen bereits erlaubt hatten. Doch für Erdogan geht es um viel mehr. Denn die Entscheidung in dem Kopftuchstreit gilt politischen Kommentatoren in der Türkei auch als eine mögliche Vorentscheidung in dem laufenden Verbotsverfahren gegen die AKP, die von der CHP islamistischer Umtriebe beschuldigt wird.
In dem Verbotsantrag des Generalstaatsanwalts heißt es, die AKP sei ein Brennpunkt für Aktivitäten gegen den säkularen Staat. Als Begründung tauchte auch Erdogans Plädoyer für das islamische Kopftuch auf. Dieses dürfe auch als politisches Symbol nicht mehr aus den Hochschulen verbannt werden, hatte Erdogan argumentiert.
AKP sieht politisches Verfahren
Die Anklage erwähnte eine Mahnung Erdogans zum Weltfrauentag an die türkischen Frauen, mindestens drei Kinder zu bekommen. Auch wurde auf die Versuche der AKP hingewiesen, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit zu verbieten. Zudem taucht eine umstrittene Erklärung Erdogans auf, wonach einem Mörder nur die Familie des Opfers vergeben kann, nicht aber der Staat.
Die AKP weist die Klage als politisches Verfahren zurück. International gilt Erdogans Partei trotz ihrer Wurzeln im politischen Islam als mit Abstand stärkste Reformkraft der Türkei und als Partner für einen Kurs Richtung EU. Mit diesem Programm hatte sie im vergangenen Jahr auch 47 Prozent der Stimmen bekommen.
Die alte säkulare Elite der Türkei hat sich mit dieser Niederlage nicht abgefunden. Der Streit um das Kopftuch stand über Monate symbolisch für einen Machtkampf, in dem die Justiz nun Erdogan einen empfindlichen Schlag versetzt hat.
Im laufenden Verbotsverfahren stellt sich die AKP bereits seit Wochen auf das Schlimmste ein. Von Plänen, die Verfassung zum eigenen Vorteil zu ändern, hat Erdogan Abstand genommen. Diskutiert werden nun Möglichkeiten für die Gründung einer Nachfolgepartei, sollte die AKP verboten werden. Auch Erdogan selber will keinesfalls aufgeben, wie türkischen Journalisten berichten. Bei Neuwahlen würde der 54- Jährige als unabhängiger Kandidat antreten.