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Vor der WM Über 3000 Kilometer an der Wolga entlang – Russland, ein Land voller Gegensätze

Die Russen nennen sie liebevoll "Matuschka Wolga": Mütterchen Wolga. Sie ist der längste Fluss Europas. stern-Reporter Bettina Sengling und Fotografin Tamina-Florentine Zuch reisen an der Wolga entlang – und durch ein Land voller Gegensätze.


"Wir sind die Wolga abgefahren, von der Mündung – also vom Delta am Kaspischen Meer – bis fast zur Quelle. Insgesamt ist der Fluss 3500 Kilometer lang. Wir sind etwa 3000 Kilometer gefahren. Wir haben ein kleines Stückchen mal ausgesetzt, waren aber sonst fast in allen großen Städten und den wichtigsten Gegenden an der Wolga."


In den kommenden Wochen wird Russland zum Dreh- und Angelpunkt des Fußballs.


Bettina: "Die Fußball-WM findet in elf Austragungsorten statt, und vier davon liegen direkt an der Wolga. Und die anderen liegen auch in der Nähe, so dass das im Prinzip auch das Land der Fußball-WM ist."


Grund genug, sich die Wolgaregion und ihre Bewohner genauer anzusehen.



Tamina: "Es war sehr unterschiedlich. Von Kamelzüchtern bis zu Fischern, dann haben wir noch Buddhisten besucht. Wir waren in Dörfern, wo die Leute eher ärmlicher gelebt haben. Dann waren wir aber auch in Städten wie Innopolis, eine Zukunftsstadt, wo es viele Tech-Leute und Computernerds gab. Es war eine unterschiedliche Bandbreite an Menschen."



Bettina Sengling war jahrelang Korrespondentin in Moskau und spricht fließend Russisch. Doch die Reise entlang der Wolga hat sie überrascht.



Bettina: "Ich bin ja oft in Russland, aber ich fand interessant zu erleben, wie kritisch die Leute mittlerweile sind, wie unzufrieden sie sind – also wie kritisch der Regierung gegenüber. Vor ein paar Jahren hat man auch ganz viele Patrioten getroffen, die antiwestlich eingestellt waren. Das ist mir dieses Mal nicht so aufgefallen. Ganz viele Leute haben sich aufgeregt und waren auch wirklich von ihren normalen Problemen sehr überwältigt. Sie waren schlecht drauf, die Stimmung war sehr schlecht."



Auch der Zustand der Städte erstaunt die Reporterin.



"Und auch als wir übers Land gefahren sind – von Saratow nach Samara, da dachte ich, es ist unglaublich, wie arm hier alles ist. Das vergessen wir hier ganz oft und denken, dass in den letzten Jahren alles viel besser geworden ist. Die schlimmen 90er Jahre - und jetzt ist das alles ganz anders. Aber das ist es in weiten Strecken in der Provinz einfach nicht. Die Leute sind wirklich arm und haben mit ihren sozialen Problemen zu kämpfen."



Besonders ein Besuch bei Jungarmisten in Zagan Aman bleibt in Erinnerung: Die Jugendorganisation Junarmija wurde vor zwei Jahren gegründet und soll den patriotischen Geist der russischen Teenager stärken. Die beiden Reporterinnen bekommen ein straffes Programm serviert.



Tamina: "Das war ganz durchstrukturiert – ein Tag voller Shows. Mich hat das verstört, dass sie (die Kadetten) das so geglaubt haben, wie toll das alles ist. Obwohl es total irre war."



Bettina: "Sie wollten es so machen, dass es uns gefällt, aber es waren Militärshows in denen Teenagern so eine Art Spetznas-Darbiertung vorgeführt haben, also unglaublich marzialisch. So etwas, was wir gar nicht kennen. Was sie aber auch nicht wissen, dass wir das gar nicht kennen. Da merkt man auch schon, dass wir anders ticken."



In der Stadt Toljatti treffen die Journalistinnen Swatja. Sie ist Sozialarbeiterin und arbeitet für die Organisation "April", sie verteilt Kondome und Einwegspritzen zur HIV-Prävention.



Bettina: "Das ist üblicherweise auf der Welt eine ganz normale Strategie. In Russland ist das aber total verpönt. Und sie haben dauernd Probleme, werden als Agenten bezeichnet, sind repressiert, wissen nicht, ob sie noch weiter existieren können und kriegen nur Mini-Löhne. Was mich daran beeindruckt, ist daran, dass sie daran so festhalten und trotz Verfolgung weitermachen. Ich stelle mir das wahnsinnig schwer vor, wenn die gesamte Gesellschaft eigentlich gegen einen ist und das trotzdem durchzuziehen."



In den kommenden Wochen wird die ganze Welt auf die Wolga-Region schauen. Zumindest auf ihre Stadien. Übrigens: Die Russen selbst sind gar keine Fußball-Nation, Nationalsport ist hier Eishockey.  

stern-Reporterin Bettina Sengling und Fotografin Tamina-Florentine Zuch haben sich eine lange Reise vorgenommen: Europas längsten Fluss komplett entlang fahren. Was sie auf der Strecke entdecken, erstaunt und begeistert die beiden: "Da merkt man auch schon, dass wir anders ticken."

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