Die russischen Truppen haben in ihrem Angriffskrieg nach britischen Schätzungen allein in den vergangenen zwei Monaten mehr als 70.000 Soldaten verloren. Im Mai habe die tägliche Rate von Getöteten und Verwundeten 1262 Soldaten betragen, im Juni seien es durchschnittlich 1163 gewesen, teilte das britische Verteidigungsministerium unter Berufung auf Geheimdienstinformationen mit.
Es sei wahrscheinlich, dass Russland auch in den kommenden zwei Monaten mehr als 1000 Soldaten täglich verliert, da versucht werde, die ukrainischen Stellungen mit Massenangriffen zu überwältigen, teilt die Behörde mit. Die Ukraine verteidigt sich seit Februar 2022 gegen den Angriff Russlands. Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht seitdem regelmäßig Informationen zum Kriegsverlauf. Moskau wirft London Desinformation vor.
"Der Anstieg bei den Verlusten spiegelt wider, dass Russland im Gebiet Charkiw eine neue Front eröffnet und die Angriffsrate an den übrigen Fronten gleich gehalten hat", hieß es zur Erklärung in London. Russland habe zwar den Druck auf die Front erhöht. "Aber eine wirksame ukrainische Verteidigung und mangelnde russische Ausbildung schränken Russlands Möglichkeiten ein, taktische Erfolge zu erzielen, trotz der Versuche, die Frontlinie weiter auszudehnen."
Ukraine rekrutiert Häftlinge für die Front
Nach mehr als zwei Jahren Krieg muss sich auch die Ukraine fragen, wo sie personellen Nachschub für die Front herbekommt. Das ukrainische Militär verzeichnet massive Verluste, genaue Zahlen werden aber nicht veröffentlicht. Anders als zu Beginn der russischen Invasion melden sich jedoch kaum noch Freiwillige für den Dienst an der Front. Seit Monaten wird daher über weitere Einberufungen diskutiert.
Mittlerweile werden dafür auch Häftlinge rekrutiert. Viele von ihnen melden sich freiwillig, teilte das ukrainische Justizministerium im Mai mit. Von den rund 20.000 in Frage kommende Gefängnisinsassen, hätten damals 4500 "Interesse" am Eintritt in die Armee bekundet, sagte Vize-Justizministerin Olena Wysotska. Mehr als 3000 Häftlinge hätten einen Antrag auf Einberufung in den Militärdienst gestellt.
Das Parlament in Kiew hatte Anfang Mai den Weg für ein entsprechendes Gesetz frei gemacht, das bestimmten Häftlingen den Zugang zu den Streitkräften ermöglichen soll. Nur Häftlinge, die noch weniger als drei Jahre ihrer Strafe absitzen müssen, können sich freiwillig für die Einberufung zum Militärdienst bewerben. Mobilisierte Häftlinge werden nicht begnadigt, sondern auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen.
Die Regelung erfordert zudem die Zustimmung der Militärbehörden nach eingehender Prüfung des körperlichen und geistigen Gesundheitszustands des Bewerbers. Sie gilt nicht für Häftlinge, die wegen schwerer Vergehen wie sexueller Gewalt, vorsätzlicher Tötung von zwei oder mehr Menschen, schwerer Korruption oder Verstößen gegen die nationale Sicherheit verurteilt worden waren.
Auch Russland setzt Häftlinge im Krieg ein
Die Regelung erinnert an ein ähnliches Gesetz in Russland: Seit Beginn seiner Invasion in der Ukraine hat Moskau Häftlinge aus russischen Gefängnissen für den Einsatz an der Front rekrutiert. Im Gegenzug zu sechs Monaten Militärdienst in der Ukraine wurden ihnen zunächst Begnadigungen durch Präsident Wladimir Putin in Aussicht gestellt.