Der Sicherheitsexperte Christian Mölling erwartet einen dramatischen Anstieg der deutschen Verteidigungsausgaben. Mölling sagte am Freitag im stern-Podcast "Die Lage – international“, die Folgen der anstehenden Nato-Planungen würden "atemberaubend“. Sie würden Steigerungsraten vorsehen, die zu neuen Auseinandersetzungen um den Verteidigungsetat und die Schuldenbremse führen werden. Der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik rechnet damit, dass die USA als wesentlicher Unterstützer der Ukraine ausfallen – und zwar auch dann, wenn Präsident Joe Biden die Wahlen im November gewinnt und im Amt bleibt. "Die Amerikaner werden sagen: Liebe Europäer, es ist eure Aufgabe, das in den Griff zu kriegen“, erwartet der Experte. Notwendig sei es, die Aus- und Aufrüstung sowohl der Ukraine als auch der eigenen Streitkräfte für viele Jahre zu sichern.
Ukrainische Truppen weiter unter großem Druck
Mölling warnte vor zu viel Optimismus mit Blick auf den Kriegsverlauf in der Ukraine. Er sagte: "Wir machen uns eine große Illusion darüber, dass es wieder so eine Art von Stabilität in diesem Konflikt geben kann. Es läuft zurzeit nicht gut für die Ukraine.“ Der Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele auf russischem Boden zur Verteidigung von Charkiw ist nach seiner Einschätzung ein geeignetes Mittel, um die russischen Kräfte zurückzudrängen. Zu hoffen sei, dass die Großstadt dadurch aus der Reichweite russischer Artillerie gerate. Es gebe aber keinen Anlass zu glauben, dass Russland aufhören werde, die Stadt wahllos zu zerstören. Mölling sprach von Angriffen im "Syrien-Stil“, deren einziges Ziel es sei, Zerstörung und Terror zu verbreiten. Zudem müsse die ganze Front beobachtet werden. Die Fokussierung auf Charkiw "folgt der medialen Aufmerksamkeitsökonomie“, kritisierte er. "Wir blenden so ein bisschen aus, dass die Front über 1000 Kilometer lang ist.“
Die Freigabe westlicher Waffen für Einsätze auf russischem Gebiet zur Verteidigung von Charkiw werde keine "wilde Artillerie-Offensive in Richtung russischer Grenze auslösen“, sagte er. "Ich glaube, dass man sehr viel Bedächtigkeit sehen wird – auch, weil die Ukraine weiterhin Rücksicht auf die westlichen Staaten nehmen muss.“ Es sei erwartbar gewesen, dass Russland nun versuche, mit der Androhung von Konsequenzen die westlichen Gesellschaften zu erschrecken. Mölling ging davon aus, dass nach den USA auch die Bundesrepublik ihre Vorgaben für den Einsatz von gelieferten Waffen durch die Ukraine ändern werde; allerdings ohne darum viel Aufhebens zu machen.