US-Gesundheitssystem Obama bangt um Jahrhundertreform

Sechs Monate nach seinem Amtsantritt bläst Barack Obama ein harter Wind ins Gesicht. Längst nicht alles, was der US-Präsident angepackt hat, ist ihm geglückt, siehe Arbeitslosigkeit, Guantánamo oder Afghanistan. Und nun steht mit der Gesundheitsreform auch noch sein wichtigstes innenpolitisches Projekt auf der Kippe.

Es könnte seine erste große Schlappe werden, verbunden mit einem Einbruch seiner Autorität. Noch gibt sich Barack Obama optimistisch und kampfeswillig, der US-Präsident hat die Gesundheitsreform zur Chefsache gemacht, doch er ist in die Defensive geraten. Beinahe täglich tritt er vor die Kameras, muss sein Vorhaben verteidigen. "Es wird noch viel mehr schlaflose Nächte geben", sagte er vor einigen Tagen voraus. Ein halbes Jahr ist Obama im Amt, doch nicht alle Projekte sind ihm gelungen. Mit der Gesundheitsreform steht jetzt sein zentrales innenpolitisches Reformwerk auf dem Spiel. Noch vor der Sommerpause sollen wichtige Entscheidungen fallen - für Obama sind die bisher kritischsten Wochen seiner Amtszeit angebrochen. Schon sprechen viele von einem Showdown. "Was ist, wenn die Reform scheitert?" fragt der TV-Sender CNN.

Befürworter nennen es eine "Jahrhundertreform", Kritiker fürchten den Weg in die Staatspleite - die Debatte ist zum ideologischen Glaubenskrieg geworden. Doch es sind nicht nur Republikaner, Industrielle oder Ärzte, die sich querlegen. Es sind Senatoren und Abgeordnete aus den eigenen Reihen, die der Mut verlässt. "In jedem Rennen sind die letzten Meilen die härtesten", versucht Obama zu beruhigen. Das klingt wie das Pfeifen im Walde.

Obamas Reformpläne spalten Amerika

Neueste Umfragen besagen, dass die Hälfte der Amerikaner Obamas Reformpläne ablehnt, lediglich 44 Prozent stehen hinter ihm. 20 junge demokratische Abgeordnete schrieben kürzlich einen Brief, in dem sie "erhebliche Bedenken" äußern und vor negativen Folgen für die Wirtschaft warnen. Steigende Kosten für Versicherungen würden die ohnehin krisengeschüttelten Unternehmen zusätzlich belasten. Jüngste Vorschläge, die Reform durch eine "Reichensteuer" zu bezahlen, lösten unter Demokraten Bauchschmerzen aus - bei Republikanern freilich einen Sturm der Entrüstung.

Dabei ist die Einsicht, dass eine Reform überfällig ist, in beiden Lagern verbreitet: Die jährlichen Gesundheitsausgaben belaufen sich auf über zwei Billionen Dollar (1,4 Billionen Euro), verbrauchen ein Sechstel des Bruttoinlandsprodukts - es ist das mit Abstand teuerste Gesundheitssystem der Welt. Die Pro-Kopf-Ausgaben sind rund doppelt so hoch wie in Deutschland. Doch 46 Millionen von 300 Millionen Amerikanern sind ohne Krankenversicherung. Schwindelerregende Arzt- und Krankenhauskosten zwingen immer mehr Amerikaner dazu, ihre Häuser zu verkaufen. Die galoppierenden Ausgaben gefährden "die finanzielle Stabilität des Staates", warnt Obama.

Der Haken: Auch die Reform kostet Geld, das nicht vorhanden ist. Mehrere Entwürfe, die derzeit in beiden Parlamentskammern beraten werden, beziffern die Kosten für die nächsten zehn Jahre auf sage und schreibe eine Billion Dollar. Die Strategie, den teuren Privatkassen mit einer staatlichen Kasse Konkurrenz zu bieten, brandmarken Republikaner als "sozialistisches Machwerk". Die Positionen haben sich verhärtet, eine Einigung wird zusehends schwieriger.

"Mister Präsident, es ist Zeit, das Gesetz vom Tisch zu nehmen", appellierte John Boehner, republikanischer Fraktionschef im Repräsentantenhaus. Die Republikaner sehen die Debatte als Chance, nach der Wahlniederlage im November endlich aus dem Tal der Tränen zu gelangen. Auch das erschwert eine vernünftige Kompromisssuche.

Begeisterung für Obama lässt nach

Kein Zweifel, dem Präsidenten bläst der Wind ins Gesicht. Noch ist Obama populär, doch jüngste Umfragen zeigen, dass seine Beliebtheit sinkt. Als er im Januar ins Weiße Haus einzog, stimmten noch 81 Prozent der Amerikaner seiner Politik zu, heute sind es nur noch 55 Prozent, wie aus einer in Washington veröffentlichen Studie des Instituts GfK Roper Public Affairs & Media hervorgeht. Der Rückgang lasse Zweifel aufkommen, ob Obama seine wichtigsten und schwierigsten Ziele - die Durchsetzung einer Gesundheitsreform und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - erreichen könne, analysierten die Autoren der Studie. Eine Mehrheit der Amerikaner ist demnach wieder der Ansicht, dass sich die USA auf einem falschen Kurs befinden. 54 Prozent der Befragten vertreten diese Meinung, gegenüber 46 Prozent vor einem Monat.

Längst nicht alles, was Obama in diesem ersten halben Jahr anfasste, ist ihm geglückt: Die Arbeitslosigkeit steigt, das superteure Konjunkturprogramm zeigt kaum Wirkung. Sein Wahlversprechen, das Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba binnen Jahresfrist zu schließen, scheint kaum mehr einzuhalten. Und in Afghanistan sterben derzeit mehr US-Soldaten als je zuvor. Am Mittwochabend Ortszeit (03 Uhr MESZ) will Obama auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus seine eigene Bilanz ziehen.

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Peer Meinert, DPA