Vielleicht mache ich ja gern Ärger", sagt sie und lächelt, als hätte sie keine Ahnung davon, wie das geht: Unruhe zu stiften. Dabei weiß sie es sehr genau. Sie kommt aus der Bronx, einer der härtesten Ecken New Yorks. "Hier setzen wir unsere Ellbogen ein", sagt sie.
Alexandria Ocasio-Cortez steht an diesem schwülen Augustsonntag in einem Nachbarschaftsklub in Queens auf einer kleinen Bühne. Sie trägt weiße Jeans, rosa Bluse, flache Sandalen. Der Klub ist rappelvoll. Viele Junge sind gekommen, Latinos, Schwarze, kaum Weiße. Die Leute wollen sie sehen und reden hören. Sie ist eine von ihnen – aber sie ist jetzt berühmt. Alexandria Ocasio-Cortez ist der Polit-Shootingstar der amerikanischen Demokraten. Sie hat die Partei aus ihrem Dämmerschlaf im Schatten des schier übermächtigen Donald Trump gerissen. Sie hat Unruhe gestiftet.
Verkrustete, überalterte Parteiführung
28 ist sie, eine Frau aus der Arbeiterklasse, Mutter Einwanderin aus Puerto Rico, Vater aus der South Bronx. Bis vor ein paar Monaten arbeitete sie noch in einem Taco-Schnellrestaurant in Manhattan als Kellnerin. Nach ihrem Ökonomiestudium musste sie Geld verdienen, damit ihre Familie über die Runden kommt. Ende Juni trat sie als Unbekannte bei einer Vorwahl der Demokraten in New Yorks Wahlbezirk Nummer 14 an, er umfasst Gebiete von Queens und der Bronx, den ärmsten Teilen der Stadt. "Frauen wie ich waren nie dafür vor gesehen, ein politisches Amt zu übernehmen", sagt sie. Ocasio-Cortez gewann völlig überraschend.
Ihr parteiinterner Gegner war alles andere als ein Hinterbänkler: Joe Crowley, genannt "King of Queens", seit zwei Jahrzehnten im Repräsentantenhaus, Favorit für die Nachfolge als Fraktionschef der Demokraten. Rund 3,5 Millionen Dollar hatte er in seinen Nominierungswahlkampf gesteckt, darunter Spenden von der Wall Street. Ihr Budget betrug nur knapp 200.000 Dollar. Sie setzte auf Kleinspenden und den Enthusiasmus ihrer Anhänger. Sie fordert eine staatliche Krankenversicherung für alle, das Ende der Studiengebühren, einen Mindestlohn von 15 Dollar die Stunde.
Ocasio-Cortez, die früher für Bernie Sanders Wahlkampf gemacht hat, bezeichnet sich selbst als "demokratische Sozialistin". In den USA bedeutete das bis vor Kurzem ein politisches Todesurteil. Heute sehen viele Demokraten ein Zeichen der Hoffnung darin. Der Sieg der Newcomerin ist eine Kampfansage an das Establishment der Partei: Die verkrustete, überalterte Parteiführung in Washington soll neuen Leuten und einer neuen Politik Platz machen.

Es wird höchste Zeit. Die Demokratische Partei ist nach der Niederlage Hillary Clintons bei der Präsidentschaftswahl 2016 immer noch völlig orientierungslos. Sie scheint bis heute nicht begriffen zu haben, warum sie gegen Donald Trump verlor. Und sie hat erst recht keine Strategie, wie sie den ihr verhassten Präsidenten bei der Wahl 2020 aus dem Amt jagen kann. Auf Trump jeden Tag draufschlagen oder seinen Wahnsinn ignorieren? Seine wütenden Anhänger im Mittleren Westen zurückgewinnen oder auf die liberalen Stammwähler in den großen Städten setzen? Wieder einen Kurs der Mitte fahren, wie unter Obama und Clinton, oder einen linken Aufbruch wagen? Die Parteiführung beschränkt sich auf die bequeme Hoffnung, Trump über die Russland-Ermittlungen und seine vielen Lügen stürzen zu können.
Die nächste große Schlacht um die Macht im Land wird dabei schon in zehn Wochen geschlagen. Bei den sogenannten Midterm Elections am 6. November. Die Kongresswahlen zwischen zwei Präsidentschaftswahlen sind traditionell die Stunde der Opposition. Alle 435 Sitze im Abgeordnetenhaus und ein Drittel der 100 Sitze im Senat werden neu vergeben, und noch immer in der Geschichte der USA hat die Partei des amtierenden Präsidenten dabei Stimmen und Sitze verloren. Die Frage ist, ob dieses Gesetz auch im Trump-Zeitalter gilt. Und wenn ja, ob die Demokraten entscheidend dazugewinnen können.
Die USA regieren alte weiße Männer
Obwohl die Republikaner im Senat nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügen, werden den Demokraten kaum Chancen eingeräumt, hier Machtverhältnisse zu verändern. Besser sind ihre Aussichten fürs Repräsentantenhaus. Im Moment verfügen sie dort über 193 Sitze. 25 weitere müssten sie für eine Mehrheit hinzugewinnen. Dann könnten sie Trump politisch unter Druck setzen, im Fall der Fälle sogar ein Amtsenthebungsverfahren einleiten. Vor allem aber hätten die Demokraten gezeigt, dass mit ihnen wieder zu rechnen ist. Es ist ihre vielleicht letzte Chance, Trumps Wiederwahl 2020 zu verhindern.
Alexandria Ocasio-Cortez wird in den Kongress einziehen. New York ist Anti-Trump-Land, ihr Wahlbezirk eine Demokratenhochburg. Sie wird die jüngste Frau sein, die je im Repräsentantenhaus saß. Ocasio-Cortez verkörpert geradezu idealtypisch eine neue Generation progressiver, linker Politiker: Einwandererkind, unerschrocken, offen für neue Ideen, unverbraucht von den Routinen des eingefahrenen politischen Betriebs.

Neben ihr gibt es bei den Demokraten eine ganze Reihe neuer, unkonventioneller Leute, die überraschende Erfolge gegen etablierte Kandidaten erzielt haben. Die meisten von ihnen sind Frauen. Und fast allen, so erzählen sie übereinstimmend, ist vorher von ihren männlichen Konkurrenten geraten worden, sich das mit ihrer politischen Karriere doch noch mal zu überlegen. "Ich war entweder zu jung, zu Latina, zu weiblich, zu unerfahren oder alles zusammen", sagt Ocasio-Cortez. Politik in den USA ist zum großen Teil immer noch das Business alter weißer Männer. Aber das ändert sich gerade.
Bis jetzt haben knapp 150 aus der Riege der neuen Kandidatinnen für das Repräsentantenhaus ihre Vorwahlen gewonnen. Sie erneuern ihre Partei von unten. Genau aus dieser Energie speist sich die Hoffnung der Demokraten, bei den Zwischenwahlen gewinnen zu können.
Da ist zum Beispiel Deb Haaland aus Albuquerque, New Mexico. 57 Jahre alt, alleinerziehende Mutter, Anwältin. Sie ist eine leidenschaftliche Kritikerin von Trumps Einwanderungspolitik. Dass an der Grenze zu Mexiko die Kinder von Immigranten-Eltern getrennt wurden, hat die indigene Frau an ihre eigene Familiengeschichte erinnert. Ihre Großmutter wurde aus der Familie gerissen und in eine weiße Schule gesteckt. Haalands Wahl gilt als sicher. Sie wäre die erste Frau im Repräsentantenhaus, die von US-Ureinwohnern abstammt.
"Great again"
Da ist Jahana Hayes aus Waterbury, Connecticut. 46 Jahre alt, Lehrerin, Mutter von vier Kindern. Sie verbrachte ihre Kindheit in einer Sozialbausiedlung in Waterbury. Ihre Mutter war drogensüchtig. Mit 17 wurde Hayes schwanger. Sie zog tagsüber ihre Tochter groß und ging abends arbeiten. "Ich weiß, was es heißt, sich nachts schlafen zu legen, draußen Schüsse zu hören und morgens eine Leiche im Hausflur zu finden", erzählte sie im Wahlkampf. Sie besuchte ein Community College, studierte, wurde Lehrerin und war geradezu besessen von der Idee, dass jeder Schüler es schaffen kann, so wie sie es geschafft hatte. Ihre Themen sind bessere Schulen und schärfere Waffengesetze. Sie gewann die Vorwahl im 5. Wahlbezirk. Sie kann die erste schwarze demokratische Abgeordnete Connecticuts in Washington werden.
Und da ist Rashida Tlaib aus Detroit, Michigan. 42 Jahre alt, alleinstehende Mutter zweier Jungen, Anwältin. Tochter palästinensischer Immigranten, das älteste von 14 Kindern. Sie war die Erste aus ihrer Familie, die zur Highschool und zur Uni ging. Als Trump 2016 im Wirtschaftsklub von Detroit auftrat, attackierte sie ihn öffentlich. Er solle erst mal die Verfassung lesen, rief sie, bevor sie von Trumps Leuten aus dem Saal geworfen wurde. Sie setzt sich für Bürgerrechte und eine staatliche Krankenversicherung ein. "Du musst dich nicht ändern, wenn du dich um ein politisches Amt bewirbst", sagte sie zu ihren Anhängern. "Das ist es, was Amerika ausmacht." Sie wird als erste muslimische Frau ins Repräsentantenhaus einziehen.

Amerika wird tatsächlich "great again" – auf eine Art, an die Trump nicht gedacht hat. Seine Präsidentschaft treibt die Demokraten an die Wahlurnen, dank ihnen wird das nächste Repräsentantenhaus ein bisschen mehr aussehen wie das heutige Amerika: weiblicher, vielfältiger, bunter. Genau das aber machen die Republikaner zu einem Angstthema, um ihre eigene Wählerschaft zu mobilisieren: den vermeintlichen Verlust der US-amerikanischen Identität. Vor ein paar Tagen sagte eine Moderatorin des mächtigen konservativen Fernsehsenders Fox, das Amerika, "das wir kennen und lieben, existiert nicht mehr".
Bei vielen Wählern verfängt das. Die USA sind ein großes Land. Und was bei Ocasio-Cortez in der Bronx politisch ankommt, wo knapp 80 Prozent der Einwohner nicht weiße Wurzeln haben, funktioniert im Mittleren Westen überhaupt nicht. Auch die Demokraten kämpfen in sehr verschiedenen Welten.
Politzirkus
Richard Ojeda zum Beispiel in Logan County, West Virginia, einer rauen Bergbauregion. Ojeda ist 47 Jahre alt, mexikanischer Abstammung, ein Ex-Fallschirmjäger. Er trägt heute noch gern Kampfstiefel und einen militärisch kurzen Haarschnitt. Nach der Hochschule, erzählt Ojeda, hatte er drei Möglichkeiten: "In die Kohle zu gehen, Drogen zu verkaufen oder in der Armee zu dienen." Er ging zur Armee. Als er 24 Jahre später nach Logan County zurückkehrte, sah er nur Leute, denen es noch schlechter ging als vorher. Viele Kohlegruben hatten dichtgemacht. Die Leute betäubten ihre Hoffnungslosigkeit mit Drogen.
Ojeda ist ein Draufgänger, ein mitreißender Redner, ein Populist. Sein Motto: "Du kannst einen Hund nur so lange treten, bis er dich in Stücke reißt." Er kämpft für die Kohleindustrie und gegen verschärfte Überprüfungen bei Waffenverkäufen. In seinem Wahlkreis, in dem 94 Prozent Weiße leben und über drei Viertel keinen College-Abschluss haben, kommt das gut an. Manche halten ihn, den Demokraten, für einen Republikaner.

2016 hat Ojeda für Trump gestimmt, wie mehr als 70 Prozent der Wähler hier. Es war ein Protest gegen den "Politzirkus" in Washington, wie er sagt. Heute bereut er die Entscheidung. "Trump hat versprochen, er holt die Jobs aus Übersee zurück", sagt Ojeda. "Nach West Virginia hat er sie nicht gebracht."
Die Partei streitet erbittert
Welcher Weg verspricht den Demokraten einen Erfolg gegen Donald Trump? Der von Alexandria Ocasio-Cortez, der linken Hoffnungsträgerin, die Stammwähler, Minderheiten und junge Aktivisten mobilisiert? Der von Richard Ojeda, dem Populisten, der die Sprache der einfachen Leute aus der weißen Arbeiterklasse spricht, die zu Trump übergelaufen sind? Die Partei streitet erbittert darüber. Ihre Führung in Washington ist zu schwach, um aus der Vielfalt der Stimmen eine klare Strategie für die Partei zu entwickeln. Deswegen ist momentan auch weit und breit kein Demokrat in Sicht, der die Partei als Präsidentschaftskandidat in zwei Jahren gegen Trump hinter sich vereinen könnte.
Barack Obama, der Ex-Präsident im Ruhestand, hat Anfang August auf Twitter eine Liste von demokratischen Politikern veröffentlicht, die er im Wahlkampf im Herbst unterstützen wird. Der Name von Alexandria Ocasio-Cortez fehlt darauf genauso wie der von Richard Ojeda. Obama hat die Liste mit der Parteiführung abgestimmt.
