Vorwahlen in Iowa Demokratie bis zur Erschöpfung

Barack Obama hat die Vorwahlen der Demokraten im Bundesstaat Iowa gewonnen. Vorher hatten in mehr als 1700 Wahllokalen Bürger um den richtigen Kandidaten gerungen, gestritten, gefeilscht. Denn der so genannte Caucus von Iowa hat seine eigenen Regeln. Wie hart der demokratische Prozess sein kann, zeigt ein Besuch in Wahllokal 19.

Um 22 Uhr Ortszeit betritt der Champ die Bühne. Er hat seine Familie mitgebracht, die beiden Töchter, seine Frau Michelle. Als die "First Family" stellt sie der Ansager vor. Sie geben ihm heute viele Namen, Champ, Triumphator, der Mann, der Geschichte schreibt, der die Welt verändert. Kein Superlativ ist zu gewagt an diesem Abend, an dem ihm Iowa zu Füßen liegt.

Barack Obama hat die Caucus genannten Vorwahlen von Iowa gewonnen, den ersten großen Schritt genommen auf dem langen Weg ins Weiße Haus. Er hat John Edwards und Hillary Clinton geschlagen, deutlicher als erwartet. Er steht unter dem Banner "Change we can believe in" und ruft mit heiserer Stimme: "An diesem Januarabend, in diesem entscheidenden Moment der Geschichte, habt ihr etwas geschafft, was Zyniker euch nicht zutrauten. Ihr kamt zusammen als Demokraten, Unabhängige und Republikaner, um aufzustehen und zu sagen: 'Wir sind eine Nation, wir sind ein Volk, die Zeit für den Wandel ist gekommen'" Unterbrochen wird er von dem Jubel und Gekreische einiger tausend Zuhörer, die Schilder hochhalten mit den Schriftzügen "Hope" und "Trust". "Ihr werdet zurückblicken und sagen, dies ist der Moment, an dem alles begann."

Ganze Schulklassen im Publikum

Im Publikum sind ganze Schulklassen, Jugendgruppen, Schwarze, Weiße, einige Asiaten, viele Menschen, die sich vor einigen Wochen noch nicht vorstellen konnten, dass sie an diesem 3. Januar 2008 hier im Hy-Vee-Center im Zentrum von Des Moines stehen würden. Darunter Clara, 29, Grafikdesignerin, Mutter einer kleinen Tochter, eine Frau, die eigentlich nicht für Obama stimmen wollte. Aber dann hat er sie mitgerissen, sagt sie, mit seinem Enthusiasmus, seinen Worten, seinem Optimismus. Sie wollte sich einfach mal tragen lassen.

Carla ist an diesem Abend zum ersten Mal bei einem Caucus dabei, in der Monroe Grundschule im Stadtteil Beaverdale. Noch am Nachmittag wusste sie nicht, wen sie unterstützen sollte. Sie mochte Obamas "Frische", "ein komplett neues Gesicht". Aber ist er erfahren genug, wenn es zu einem Krieg kommt? fragt sie sich. Sie mochte Hillarys Erfahrung, aber schleppt die nicht die 90er Jahre noch mit sich herum? Sie mochte Edwards Kampfeslust und Richardsons Charme, aber haben die eine Chance gegen die beiden Favoriten?

Irgendwann gegen 19 Uhr wird die Aula der Schule zu klein, das Wahllokal Nr. 19 von insgesamt 1781 im Staat. Die Demokraten hatten mit vielen Teilnehmern gerechnet, aber nicht mit diesem Andrang. Fast 400 sind gekommen aus der Nachbarschaft, dazu noch mal 350, die sich nebenan in der Cafeteria in einem zweiten Wahllokal versammeln, Eltern mit kleinen Kindern, Rentner, Studenten, vor vier Jahren waren es nur 158. "Noch 382 Tage, dann ist unser nationaler Alptraum vorbei", ruft der Vorsitzende des Wahllokals, Bill Brock, und erstmals setzt lauter Jubel ein.

Nebenan die Republikaner

In der Turnhalle nebenan treffen sich zur gleichen Zeit die Republikaner zur Abstimmung. Nicht mal 100 Teilnehmer sind gekommen. Sie verlieren sich in der großen Halle. Sie sitzen brav an Tischen. Sie sehen nicht wie Sieger aus.

Der Caucus von Iowa, diese urdemokratische Abstimmung, hat seine eigenen Regeln. Es gibt keine Wahlkabinen und keine geheime Stimmabgabe, dafür wird gestritten, diskutiert, gefeilscht. Zunächst versammeln sich die Anhänger gruppenweise in der Aula. Obamas Leute treffen sich auf der Bühne, Hillarys Anhänger in den ersten Zuschauerreihen, Edwards' Leute links in der Ecke. Sie haben Schilder mitgebracht und kleben sie an die Wand, "Change" (Edwards), "Trust" und "Hope" (Obama), "Hillary" (Hillary). Das muss reichen. Ein Name. Sie ist der Star.

Carla bleibt hinten in der Aula stehen. Sie gehört zur Gruppe der "Undecided", der Unentschlossenen. Hinter ihr an der Wand hängen Schilder mit dem Aufdruck "Bringt sie nach Hause." Gemeint sind die US-Truppen im Irak.

Erster Durchgang

In der ersten Abstimmung bekommt Obama schon mehr als 100 Stimmen, Hillary 60 und Edwards 57. Bill Richardson (31) und Joseph Biden (23) zu wenig, um die erste Runde überstehen, 15 Prozent sind dafür notwendig. "Nun beginnt die Zeit des 'Realignment'", ruft der Vorsitzende Brock.

Dann wird gefeilscht

Für 30 Minuten setzt nun eine Art Kuhhandel ein, eine Mischung aus Überzeugungsarbeit und politischer Agitation. "Kommt zu uns", rufen Anhänger Edwards' den Biden-Leuten zu. "Wir beenden den Krieg im Irak." Eine Unterstützerin Obamas bietet den Unentschlossenen Kekse und Wasser an. Die Köpfe sind rot, die Luft ist schlecht, Kinder brüllen, Alte sitzen erschöpft in Rollstühlen. Die Demokratie ist ein harter Prozess an diesem kalten, klaren Abend.

Carla hört sich alles an. Eine Frau aus dem Hillary-Lager ködert sie mit dem Thema "Frauen an die Macht". Einer aus dem Edwards-Lager erinnert sie an die Ungerechtigkeit dieser Welt, und von den Obama-Leuten hört sie lange Geschichten über seine Kindheit in Indonesien und seinen afrikanischen Vater. Jeder will ihre Stimme. Obamas Anhänger klatschen im Rhythmus, sie feiern, sie sind die Jüngsten, sie wollen den Rest im Saal mit ihrem Jubel einlullen.

Bei den Republikanern ist es schnell vorbei

Drüben bei den Republikanern in der Turnhalle ist derweil alles schnell vorbei. Huckabee gewinnt vor Romney, keine Diskussion, keine Begeisterung, eine schnelle Abstimmung, die Republikaner haben ihren ultimativen Kandidaten noch nicht gefunden. "Ich bin gekommen, um den Moralverfall aufzuhalten", sagt Brandy, 22. "Huckabee ist gegen Abtreibung und für die Familie und scheut sich nicht, seinen Glauben zu zeigen." Sie ist kurzentschlossen in die Kälte gegangen, minus fünf Grad sind es an diesem Abend, und hat ihre beiden kleinen Kinder dem Vater überlassen. Als müsste sie zum Kampf für die Rettung des Vaterlandes antreten.

Beaverdale ist ein gemischter Stadteil von Des Moines, hier leben Truckfahrer, Arbeiter, Angestellte, einige Studenten der benachbarten Drake University, die meisten Bewohner leben in kleinen Einzelhäusern. Nur wenige Caucus-Teilnehmer an diesem Abend sind Schwarze, aber sie wählen allesamt Obama. Nivea, 19, sagt, dass sie als Schwarze zum ersten Mal wieder Hoffnung hat. Zum ersten Mal überhaupt sich für Politik interessiert. "Ich befürchte, er wird erschossen, wenn er gewinnt", sagt ihre Cousine Shanika.

Die Gespräche in der Aula der Monroe Elementary School zeigen vor allem eines: Die Demokraten wollen den Wandel, richtigen Wandel nach sieben Jahren Bush, er ist wichtiger als Hillarys Erfahrung und Edwards Begeisterungsfähigkeit. Sie haben alles satt. Sie haben den Krieg satt und die Immobilienkrise und die hohen Ölpreise. Sie wollen einen Neuanfang. Sie wollen sich tragen lassen von Euphorie, von Hoffnung. "Ich bin erst seit einem Jahr Staatsbürger", sagt Jimmy Thanki. "Jetzt kann ich etwas tun, damit sich meine Freunde in Indien nicht mehr über mich lustig machen." "Ich schäme mich in Grund und Boden für mein Land", sagt Carla. "Ich war in London und wagte es nicht zu sagen, dass ich Amerikanerin bin."

Alles auf eine Karte

Die Sprecher der drei großen Kandidaten Edwards, Obama und Edwards setzen schließlich alles auf eine Karte. Sie versprechen eine neue Politik, sie versprechen das Ende des Krieges, sie kämpfen um jede Stimme mit Argumenten, mit flehenden Blicken, mit Babys auf dem Arm. Der Caucus von Beaverdale nimmt nun jene Dramatik an, die es sonst nur auf der Bühne dieser Aula zu sehen gibt, zuletzt bei einem Shakespeare-Abend.

Carla entscheidet sich

"Okay, ich komme zu Euch", sagt schließlich Carla und wechselt ins Obama-Camp. Was sie überzeugt hat? "Die Begeisterung. Wir müssen neu anfangen. Ich spüre hier eine Menge Energie. Und eine Lehrerin sagte mir, dass ihre Schüler durch Obama inspiriert und ermutigt werden. Das hat mich sehr berührt." Jedes Überlaufen wird von den jeweiligen Lagern laut beklatscht, Jubelstürme brechen aus, nur das Hillary-Camp tut sich schwer, viele sind alt und wollen endlich nach Hause, seit drei Stunden sind sie hier. Ein Sieg ist nicht mehr in Sicht.

Schließlich, um 21 Uhr, wird das Endergebnis im Wahllokal 19 von Beaverdale verkündet: Obama 156, Edwards 78, Hillary 69. Das macht: 4 Delegierte für Obama, 2 für Edwards und 2 für Clinton. Ein klarer Sieg. Ein Stück Geschichte. "Ich war dabei", sagt Carla am Ende dieses langen Abends und fährt beglückt nach Hause zu Mann und Kind. Sie glaubt, einen Blick in die Zukunft erhascht zu haben.