Vorwahlen in Iowa Klassenkampf und Rock 'n' Roll

Von Jan Christoph Wiechmann, Des Moines
Der Countdown läuft. In Iowa beginnt die heiße Phase der Vorwahlen in den USA. In beiden Parteien liefern sich die Kandidaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Den Ausschlag könnte das Wetter geben. Oder Football. Oder Gott.

Hillary Clinton holte am späten Mittwochabend noch mal ihren Ehemann Bill auf die Bühne und verteilte Schneeschieber an die Bürger. Barack Obama sprach mit heiserer Stimme vor 2000 Zuschauern und schlug vor, die ganze Welt zu verändern. John Edwards ging auf eine "36-Stunden-Tour" und rief seinen Zuhörern Klassenkampfparolen zu wie zu Zeiten der Russischen Revolution. Mike Huckabee flog nach Kalifornien, um in Jay Lenos "Tonight Show" einem Millionenpublikum jenen Präsidenten vorzustellen, der er gern sein will: lustig, schlagfertig, anders. Sie alle verbindet eine Hoffnung: Heute Abend als Sieger aus den Caucus-Wahlen in Iowa hervorzugehen.

Ab 19 Uhr (2 Uhr MEZ) werden die Bürger Iowas sich in Turnhallen, Feuerwehrhäusern, Schulen, Wohnzimmern - an insgesamt 1781 Orten - versammeln, um in der ersten Vorwahl des Jahres für ihren Kandidaten zu werben. Wahlkampfhelfer werden sie zu Hause abholen, sie zum Ort des so genannten Caucus fahren, ihnen Kaffee und Donuts und reichlich Munition für den verbalen Schlagabtausch mitbringen; seit einem Jahr arbeiten die Teams an der Logistik für diesen Wahlabend.

Die Bürger geben bei einem Caucus nicht ihre Stimme ab. Sie versammeln sich in den Ecken der Säle unter dem Namen eines Kandidaten. Dann wird ein erstes Mal abgezählt. Danach wird diskutiert und gefeilscht, ein jeder Wahlberechtigter kann sein Camp wechseln. Dann wird erneut abgezählt und der Sieger jedes einzelnen Wahllokals ermittelt. So läuft es bei den Demokraten. Die Republikaner stimmen nur einmal ab.

Kandidaten waren Stammgäste

Wer als Gewinner dieses urdemokratischen Prozesses hervorgehen wird, ist völlig ungewiss. Monatelang waren die Kandidaten in Iowa unterwegs, in Bars, Restaurants, in den Wohnzimmern der Bürger, an manchen Orten waren mehr Reporter anwesend als Wahlbürger. Die Iowans, wie die Menschen des Agrarstaates genannt werden, bekommen die Kandidaten so oft und unmittelbar zu sehen wie in wohl keinem anderen Land der Erde und keinem anderen US-Staat. Viele haben die Politiker mehr als ein Dutzend Mal gesehen und kennen ihre Parolen mittlerweile auswendig - Obamas "Stand Up for Change", Hillarys "Ready for Change", Edwards‘ "Fight for Change". Es wird heute Abend vor allem um den Wandel gehen, jedenfalls bei den Demokraten. Welcher der acht Kandidaten garantiert ihnen den Wandel nach acht Jahren Bush?

Auch bei den acht Republikanern spielt das Thema Wandel eine Rolle, wenngleich die meisten Präsident Bush die Treue halten. An der Spitze des Feldes steht einer, der es wagte, Präsident Bush zu kritisieren, seine "Bunker-Mentalität", die "Arroganz" seiner Regierung. Mike Huckabee, der joviale ehemalige Pastor und Gouverneur aus Arkansas, tritt mit lockeren Sprüchen auf, geht Joggen mit Reportern, spielt auf Wahlpartys Rock 'n' Roll mit seiner Band "Capital Offense". Er präsentiert sich als unorthodox - und macht den einen oder anderen unorthodoxen Fehler. Als es diese Woche um die Krise in Pakistan ging, schlug er den Bogen zu der angeblichen Gefahr, die von pakistanischen Einwanderern in Amerika ausgehe. Als es um den spektakulären Geheimdienstbericht zum Iran ging, schlug er gar keinen Bogen. Er wusste selbst 24 Stunden nach dessen Veröffentlichung, als bereits ganz Amerika über den Bericht sprach, noch nichts davon.

In den meisten Umfragen für Iowa liegt Huckabee noch knapp vor dem Multimillionär und einstigen Favoriten Mitt Romney, der 20-mal so viel Geld in den Wahlkampf investiert hat - zuletzt um Huckabee in Fernsehspots zu diskreditieren als zu lax in der Verbrechensbekämpfung und im Umgang mit illegalen Einwanderern. Das "Negative Campaigning" unter den Republikanern hat inzwischen seinen Höhepunkt erreicht. Romney greift John McCain an ("zu nachgiebig"), Huckabee greift Romney an ("Wendehals") und McCain Romney ("Schwindler"). Nur von Rudy Giuliani, einst hoher Favorit, hört man nichts. Er spielt keine Rolle in Iowa. Er zeigt sich hier kaum. Er hofft auf spätere Siege in Florida und in den großen Staaten wie New York, Texas und Kalifornien.

Ausgang unbekannt

Das Spannende bei diesen Caucus-Wahlen: Keiner kann den Ausgang vorhersehen. Im Dreikampf der Demokraten liegt Barack Obama nach einer Umfrage des "Des Moines Register" leicht vorn, bei CNN ist es Hillary Clinton. Etwa 150.000 Parteimitglieder werden sich beteiligen, insgesamt nur etwa sechs Prozent aller Wahlberechtigten. Sollte John Edwards nur Dritter werden, so die allgemeine Lesart, gilt er als chancenlos im Rest des Landes. Sollte Hillary gewinnen, so heißt es, wird sie kaum noch aufzuhalten sein. Sollte sie hoch verlieren, wird es wiederum schwer für sie zurückzukommen. Obama braucht in Iowa mindestens einen zweiten Platz, um im Rennen zu bleiben. Sollte es keinen klaren Gewinner gehen, ist ein Sieg in Iowa eher von symbolischem Wert.

Die Entscheidung über den Ausgang könnte das Wetter bringen. Edwards hofft auf schlechtes Wetter, damit viele Neuwähler zu Hause bleiben. Hillary hofft auf gutes Wetter, damit sich auch die alten Frauen vor die Tür trauen. Und Obama ist das Wetter egal, sagt er. Klar und kalt soll es werden. Schauen sich viele Männer am Abend den "Orange Bowl" an, ein Endspiel im College Football, könnte dies Edwards schaden, so wird spekuliert. Sollte Gott seine Hand im Spiel haben, sagen evangelikale Christen, werde Huckabee vorn liegen. Glaubt man den Losungen der Kandidaten bei ihren letzten Auftritten, so geht es um alles und noch viel mehr, vor allem die Zukunft. Romney ruft: "The future begins now." Edwards beschwört "the future of America". Obama: "Your future is our future." Clinton: "The future is too important to stay home."

Schon am späten Donnerstagabend werden alle ihre Zelte abbrechen und sich auf den nächsten, den unberechenbaren Staat New Hampshire stürzen, wo schon am kommenden Dienstag gewählt wird. Wieder werden sie angreifen, stärker als je zuvor, und manche werden schon alles riskieren. Die historisch belegte Wahrheit lautet: Wer Iowa und New Hampshire gewinnt, ist nicht mehr aufzuhalten.