Wahlen in Russland Das Gespenst des Putinismus

Der Popularität von Präsident Putin hat die Politikverdrossenheit im wirtschaftlich angeschlagenen und kriegsgeplagten Russland kaum geschadet. Die Opposition warnt bereits davor, eine von Kreml-treuen dominierte Duma könnte in die Diktatur führen.

Nein, das Gespenst des Kommunismus geht dieser Tage nicht mehr um in Russland. Die Kreml-Partei Einiges Russland wird am Sonntag Umfragen zufolge als stärkste Partei aus der ersten Parlamentswahl in der Ära Putin hervorgehen. Präsident Wladimir Putin hat öffentlich erklärt, dass er der erst kurz vor der letzten Dumawahl vor vier Jahren gegründeten Partei seine Stimme geben wird und zugleich angedeutet, dass er seine Kandidatur bei der Präsidentenwahl im kommenden März von einem in seinem Sinne handlungsfähigen Parlament abhängig machen will.

Das Ziel: Eine Zweidrittelmehrheit. Die Perspektive: Eine Verfassungsänderung, damit Putins zweite Amtszeit nicht seine letzte sein muss. Der Popularität des Präsidenten hat die allgemeine Politikverdrossenheit im wirtschaftlich angeschlagenen und vom Krieg in Tschetschenien geplagten Land kaum geschadet. Putin wird als der starke Mann im Kreml gesehen, der Probleme anpackt. Sein unverhüllt autoritärer Gestus wird von vielen Durchschnittsbürgern als Tatkraft wahrgenommen, während andere Politiker eher im Ruf stehen, sich in erster Linie dem eigenen - materiellen - Wohl zu widmen.

"Wir sind mit dem Präsidenten"

Das Programm von Einiges Russland ließ sich denn auf einen Slogan reduzieren: "Wir sind mit dem Präsidenten, und Sie sollten das auch sein." Als Marschrichtung der Kreml-Kräfte sehen Meinungsforschungsinstitute wie WZIOM-A die Mehrheit, die Verfassungsänderungen möglich macht: "Sie kämpfen für die Zweidrittelmehrheit", erklärt Chefanalyst Leonid Sedow.

Wie die Stimmungslage im Wahlvolk in der Woche vor der Wahl war, durfte nicht mehr erhoben werden. Nach einem im Sommer verabschiedeten Gesetz zur Regelung der Wahlberichterstattung war es von Dienstagnachmittag bis nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend verboten, Umfrageergebnisse zu veröffentlichen. Der Anschlag auf einen Pendlerzug nahe der tschetschenischen Grenze in Südrussland mit mindestens 36 Toten überschattete am Freitag die Wahl. Auswirkungen auf die Wählerstimmung durften aber nicht erhoben werden.

Einiges Russland löste bei der Wahl 1999 die Kommunistische Partei als stärkste Partei ab. Neben diesen beiden scheinen nur die ultranationalistischen Liberaldemokraten Wladimir Schirinowskis sicher die Fünfprozenthürde überspringen zu können. Die Liberaldemokraten haben in den vergangenen vier Jahren immer mit der Kreml-Partei gestimmt. Die beiden liberalen Parteien, Jabloko und die Union der Rechten Kräfte, könnten dagegen an der Sperrklausel von fünf Prozent scheitern. Allerdings werden nur die Hälfte der 450 Mandate nach dem Ergebnis der Listenwahl bestimmt, über die anderen 225 entscheiden die Wähler direkt in den Wahlkreisen. Politische Analysten in Moskau wie Mark Urnow erwarten 230 bis 290 Sitze für die Kreml-Kräfte - eine komfortable Mehrheit für die Gesetzgebung im politischen Alltag, aber eben doch keine Zweidrittelmehrheit.

Putin hat versprochen, mit einer starken Mehrheit in der Duma die wirtschaftlichen und politischen Reformen weiter voranzutreiben. Zugleich hat er eine Abneigung gegen politisch anders Denkende erkennen lassen. Kritische Berichterstattung in den Medien wurde mit einschlägigen Gesetzen erschwert. Rechtsstaatliche Fragen warfen auch die Verhaftung des Milliardärs und Mehrheitseigentümers des Ölkonzerns Jukos, Michail Chodorkowski, auf. Kritiker vermuten, dass sie eher wegen Chodorkowskis politischen Ambitionen als den formal genannten Straftatbeständen erfolgt sei.

Liberale warnen vor Weg in eine Diktatur

Vier Tage vor der Wahl warnte Boris Nemzow, Führer der Union der Rechten Kräfte, davor, ein von Kreml-Bürokraten, Kommunisten und Nationalisten dominiertes Parlament könnte Russland auf den Weg in die Diktatur bringen. "Das ist die wirkliche Gefahr, die das Land und die Elite nicht erkennt", sagte er. "Sie haben den Geist aus der Flasche gelassen."

Putin, der eine Woche vor der Wahl die Bürger zur Teilnahme an der Wahl aufrief, warb dagegen für "ausgewogene Aktionen der politischen Kräfte in der Duma". Diese Balance sei dank der Unterstützung der Parteien der Mitte, vor allem von Einigem Russland, erreicht worden. "Einiges Russland hat es geschafft, Populismus zu überwinden und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen", lobte er. "Wenn die Duma effizient ist, kann der Präsident zusammen mit dem Parlament viel erreichen. Wenn die Duma sich in internen Intrigen und Posen vor den Kameras ergeht, ist der Präsident an Händen und Füßen gefesselt."

DPA
Steve Gutterman