Das Bild Ihres leblos am Strand liegenden Sohns Alan ist 2015 um die Welt gegangen.
Es klingt verrückt, aber mich hat das stolz gemacht. Das Bild hat eine Debatte über Flüchtlinge ausgelöst und viele Regierungen bewegt. Ich denke, dass damit andere Menschen gerettet werden konnten. Mein Sohn hat diese Krise mit einem konkreten Schicksal verbunden und andere davon abgehalten, diesen gefährlichen Weg zu gehen.
Wie ist Ihr Sohn ums Leben gekommen?
Ich war mit meiner Frau und meinen Söhnen aus Syrien in die Türkei geflohen. Doch unsere Kinder durften dort nicht zur Schule gehen, mein Einkommen reichte kaum aus, wir konnten uns keine Möbel für die Unterkunft leisten. Wir waren verzweifelt und hatten gehofft, nach Deutschland oder Schweden flüchten zu können und hatten viel Geld an illegale Schlepper gezahlt. Und so wagten wir die Überfahrt von Bodrum nach Griechenland und stiegen in ein kleines, überfülltes Boot. Schwimmwesten gab es nicht. Die hohen Wellen prallten auf uns, und wir verloren uns aus den Augen. Der Kapitän floh, während ich panisch tauchte und meine Familie suchte. Ich konnte sie nicht finden und niemanden retten.

Abdullah Kurdi
Kurdi, 1976 im syrischen Kobani geboren, war 2015 mit seiner Familie vor der Terrormiliz IS von Damaskus in die Türkei geflüchtet. Im September dann bestieg er mit Ehefrau Rihan, den Söhnen Ghalib und Alan ein Boot, das die Familie nach Griechenland bringen sollte. Frau und Söhne ertranken im Mittelmeer. Das Bild seines toten Sohns Alan, damals drei Jahre alt, ging um die Welt. Kurdi lebt heute in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan. Er hat eine Stiftung gegründet und setzt sich für Flüchtlingskinder ein.
Wenn Sie zurückblicken, was fühlen Sie?
Schmerz. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke. Ich musste meine Liebsten beerdigen. Ich bin froh, dass ich sie trotz der Umstände zurück nach Kobani in unsere Heimat überführen konnte. Eingewickelt in ein weißes Tuch übergab ich Alan der Erde. Die Anteilnahme der Menschen hat mich überwältigt.
In Deutschland hat eine Satire-Partei Alan auf Wahlplakate gedruckt, um Kritik an Angela Merkel zu üben.
Das hat mich verletzt. Ich würde mir wünschen, dass die Partei spendet, statt solche Plakate zu drucken. Vor allem weil ich Angela Merkel sehr schätze. Sie hat viel Menschlichkeit bewiesen, indem sie so viele Flüchtlinge in Not aufgenommen hat.
Ihr Bruder Muhammad und andere Verwandte haben Asyl in Kanada erhalten. Sie haben das abgelehnt. Warum?
Vor der Katastrophe waren unsere Asyl-Ersuche abgelehnt worden. Heute betreiben Verwandte von mir in der Nähe von Vancouver einen Friseursalon. Ich bin froh für sie, aber was sollte ich dort? Das war der Traum meiner Familie, aber die gibt es nicht mehr. Ich will auch nicht mehr nach Deutschland oder Schweden. Ich möchte hier sein und so vielen Kindern wie möglich helfen. Das ist mein Schicksal.
Sie leben in Erbil in der Autonomen Region Kurdistan. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Ich bin den Umständen entsprechend froh, hier sein zu können. Es ist sicher, und es gibt viele Leute, die mich unterstützen. Auch die Regierung tut das. Ich will jetzt mein Leben nutzen, um Menschen zu helfen und allen zu sagen: Wagt diese Überfahrten nicht!
Sie haben eine Stiftung gegründet. Ist das auch eine Art Trauerbewältigung?
Es gibt ungefähr 1,7 Millionen Flüchtlinge hier. Sie leben in Massenlagern. Am schlimmsten ist es in den Camps nahe Dohuk. Dort sitzen die Vergessenen, kaum eine Hilfsorganisation ist vor Ort. Deshalb habe ich mit meiner Schwester die Kurdi-Stiftung gegründet. Wir sammeln Spenden, um möglichst viel Hilfe leisten zu können. Wir wollen kleine Kinder bis zum Alter von fünf Jahren unterstützen. Gerade konnten wir durch eine Spende aus Kanada ein Camp mit Kleidung ausstatten. Das hilft auch mir dabei, mein Schicksal anzunehmen.