Es heißt, Sergeant Bryan Anderson, 25, habe Glück gehabt. Er verlor beide Beine und einen Arm, als im Irak eine Bombe neben dem Hummee explodierte, den er lenkte. Sergeant Anderson überlebte die "Operation Irakische Freiheit", und heute gilt er gar als einer ihrer Helden: denn er ist einer von fünf Dreifach-Amputierten des Krieges - eine zweifelhafte Ehre, wie er weiß. Zeitungen schrieben über ihn, er kam auf das Titelbild des US-Magazins "Esquire". Der Schauspieler Gary Sinise, zorniger Vietnam-Veteran und Amputierter aus dem Film "Forrest Gump" schickte seine besten Wünsche, andere Wohlmeinende spendeten ihm insgesamt 1000 DVDs gegen die Langeweile. Viele wollen ihn sprechen, das versteht er. Doch manchmal wird Sergeant Anderson sein Heldentum so zuwider, dass er sein Telefon einfach ausschaltet.
Der Preis für Bushs Krieg
Bryan Anderson ist einer von mittlerweile rund 10.000 schwer verwundeten US-Soldaten aus den Feldzügen im Irak und Afghanistan, die durch rasche Behandlung und High-Tech-Medizin gerettet werden konnten. Starb noch im Vietnam-Krieg jeder Vierte Verwundete, kommen im Irak 16 Verwundete auf einen getöteten US-Soldaten. Viele überleben - doch oft nur mit schweren Behinderungen. Und dazu kommen möglicherweise Tausende Verletzte aus den Einsätzen privater Sicherheitsfirmen im Irak. Denn die haben mittlerweile mehr als 100.000 gut bezahlter so genannter "contractors" unter Vertrag, Bodyguards etwa oder LKW-Fahrer - auch dies eine regelrechte Armee. Oft nur unzureichend geschützt, werden ihre Heimkehrer von den offiziellen Statistiken nicht erfasst - sie gelten als Privatpersonen.
In diesen Tagen ist es vier Jahre her, als der Krieg gegen den Irak begann, und schon mehr als fünf Jahre kämpfen US-Soldaten in Afghanistan. Deshalb spricht man in diesen Tagen auch viel von Opferbereitschaft und Vaterlandsliebe, Präsident Bush bat in einer Rede gar um "Geduld" angesichts der Lage im Irak. In diesen Tagen spürt Amerika, welchen Preis es zahlt für den Krieg ihres Präsidenten.
Alleine mit den inneren Dämonen
Denn wie damals schon aus Vietnam kehren die Versehrten aus Afghanistan und dem Irak zurück in ein Land, das sie zunächst zu Helden stilisiert und dann zu einer anonymen Nummer in einer übermächtigen Bürokratie abstempelt. Die Schwerverwundeten erhalten zunächst erstklassige medizinische Versorgung, doch dann werden die meisten allein gelassen mit ihren Schmerzen, den Ängsten, ihren inneren Dämonen.
Einer der Orte, an denen man Männer wie Sergeant Anderson treffen kann, ist das "Hotel Danach". So nennen die Patienten das stets überfüllte Gästehaus des eigentlich so renommierten Walter Reed Militärhospitals in Washington. In diesem Krankenhaus wurde bislang jeder vierte verwundete Soldat behandelt. Jeden Freitag kommt ein Bus mit neuen Patienten.
Gefangen in einem Roman von Kafka
Im "Hotel Danach" sind Hunderte so genannter "outpatients" untergebracht: Schwerverwundete, meist Amputierte, die jetzt oft monatelang ambulant behandelt werden müssen. Und viele von ihnen glauben sich gefangen in einer bizarren Welt, die an einen Roman von Franz Kafka erinnert. Immer noch sind sie Soldaten der US-Armee, sie haben also zu gehorchen. Und werden dabei aus Personalmangel oft von anderen Verwundeten herum kommandiert. "Zieht Euch warm an!", sagen die dann, oder "Mixt Tabletten nicht mit Alkohol!"
Sie erhalten 50 Dollar Lebensunterhalt am Tag ausgezahlt, meistens in cash. Füllen brav dutzende von Anträgen und Formularen aus, um dann monatelang nichts mehr davon zu hören. Sie warten auf weitere Verwendung oder auf Entlassung, auf finanzielle Unterstützung oder weitere Behandlung. Das Krankenhauspersonal ist überfordert. Mit so vielen Dauerpatienten hat offenbar niemand gerechnet.
Todesangst, wenn ein Teller zerbricht
Die Patienten hier schlucken jeden Tag dutzende Tabletten, Schmerz-Killer, Mittel gegen die mörderische Schlaflosigkeit, gegen die Panik-Attacken, die Wahrnehmungstörungen. Jeder dritte Heimkehrer leidet unter PTSD, dem posttraumatischen Stresssyndrom. Da sind Patienten so verstört, dass sie ihre Termine vergessen. Andere weigern sich, in ein Taxi zu steigen, dessen Fahrer orientalisch aussieht. Oder suchen Häuserdächer ständig nach Scharfschützen ab. Und wenn in der Kantine mal ein Teller zu Bruch geht, verkrampfen einige von ihnen vor Todesangst.
Oft sind ihre Frauen oder ihre Mütter nach Washington gekommen, um ihre Männer, ihre Söhne zu unterstützen. Sie haben ihre Jobs gekündigt, und verzweifelt versuchen sie jetzt, den Anschein eines Alltags zu wahren. Manchmal gelingt es. Und sie wissen, immer noch geht es ihnen viel besser als den ungezählten irakischen Opfern der täglichen Bomben-Massaker. Über sie wird keine Statistik geführt. Man kennt ja noch nicht einmal die genaue Zahl der Toten. Sind es 65.000? Oder 100.000? Oder noch mehr?
Vergessen und verlassen im Hospital
Nicht alle Patienten finden Platz im "Hotel Danach" mit seiner Bar, die ab nachmittags auch Alkohol ausschenkt. Alkohol, mit dem sich immer mehr Soldaten auch während des Einsatzes betäuben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass bei Verbrechen, die von US-Soldaten in Afghanistan und im Irak begangen wurden, Alkohol und Drogenmissbrauch eine Rolle spielten - in mehr als einem Drittel der Fälle, in denen es zu einer Anklage gegen US-Soldaten kam. Einige Heimkehrer mussten bislang im "Gebäude 18" ausharren. Dort blätterten die Tapeten von den schimmelschwarzen Wänden, über die Flure huschten die Mäuse, die Zimmer waren voller Kakerlaken.
Vergessen, verlassen, krank und erniedrigt - als die Washington Post vor einigen Wochen eine aufrüttelnde Artikelserie über die Zustände im Walter Reed Militärhospital veröffentlichte, ging ein Aufschrei der Empörung durch das Land. Der Kongress strengte eine Untersuchung an, "Gebäude 18" wurde zur sofortigen Renovierung geschlossen, zwei hochrangige Militärs gefeuert. "Machen wir uns Nichts vor", wettert der demokratische Senator Charles Schumer, "dies ist so schrecklich wie Hurrikan Katrina."
"Bushs Politik basiert auf Illusionen"
Und Präsident Bush berief rasch eine Experten-Kommission ein, die sich um Verbesserungen an der Veteranenfront bemühen soll. Er weiß, der letzte Rest seiner Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel: Schließlich hatte er ja bislang bei jedem patriotischen Besuch an natürlich strahleweiß bezogenen Schwerverwundeten-Betten bezeugt: "Euch schulden wir alles, was wir haben."
Doch mittlerweile stapeln sich im zuständigen Ministerium für Veteranenangelegenheiten 400.000 nicht bearbeitete Anträge auf Unterstützung aller Art. Experten fürchten, die Zahl könne bald auf bis zu 700.000 steigen. Denn Bush hat mehr als 20.000 weitere Soldaten in den Irak geschickt, die Truppenerhöhung soll die Chance auf eine politische Lösung geben. "Diese Politik basiert auf Illusionen", kritisiert William Odom, einst Chef der hochgeheimen Nationalen Sicherheitsagentur NSA, "mit der Realität hat dies nichts mehr zu tun." Und er sagt noch etwas: "Sieg ist keine Option mehr." "Hotel Danach" wird noch lange überfüllt bleiben.