Washington Memo Die Macht der letzten Minute

  • von Katja Gloger
Hillary Clinton in höchster Not: Selbst in ihren beiden letzten Festungen - Texas und Ohio - holt Obama auf. In einer TV-Debatte wollte sie ihn stellen, doch die Angriffe perlten an ihm ab. Erst in letzter Minute konnte Hillary Clinton punkten: mit viel Gefühl.

Die letzte Minute. In der letzten Minute dieser 19. Fernsehdebatte rettete sie den Abend für sich. In dieser letzten Minute, als Hillary Clinton über ihre Motivation sprach, über das, was sie jeden Morgen aus dem Bett bringt, über ihr Bedürfnis, den Menschen in ihrem Land zu dienen. "Ich habe viele Schläge einstecken müssen. Aber all das ist nichts im Vergleich zu dem, was Menschen überall in Amerika jeden Tag durchmachen müssen." Es war einer der seltenen menschlichen Momente im Leben der öffentlichen Person Hillary Clinton. Sie baute eine Brücke zu ihren Wählern. Die Zuschauer dankten ihr mit stehenden Ovationen. Endlich, endlich, lieferte sie einen echten Grund, sie zu wählen. Den Menschen Hillary Clinton.

Wäre sie bloß früher darauf gekommen. Hätte sie bloß diesen Moment von New Hampshire festgehalten, als sie sagte "Ich habe meine eigene Stimme gefunden." Warum, fragten sich die Beobachter, versteckt sie diese authentische Seite des Menschen Hillary Clinton? Oder ist es doch nur inszeniert? Die Wähler haben immer noch keine Antwort auf die Frage, wer Hillary Clinton wirklich ist. Jetzt aber läuft ihr die Zeit davon.

Showdown in der Sporthalle

Was hatte man nicht alles von diesen 90 Minuten Fernsehen gestern Abend in Austin erwartet. Showdown in der Sporthalle der Universität von Texas, Angriffe, endlich die wahren Gegensätze. Die Dame in Bedrängnis, noch ganze elf Tage bis zur Vorentscheidung in diesem brutalen Vorwahlkampf. Gerade hat Barack Obama elf Staaten in Folge gewonnen, jetzt hat er über 130 mehr Delegierte für den Wahlparteitag als sie, und selbst ihre Stammwähler wenden sich ab, mächtige Gewerkschaften sprechen sich für ihn aus, nicht mehr für sie. Hillary Clinton weiß, sie muss jetzt gewinnen, in zwei Wochen, in Texas und Ohio, ihren beiden letzten Bastionen. Und sie muss nicht nur gewinnen - sie müsste Erdrutschsiege davontragen, um zu Barack Obama aufzuschließen. Die beiden Bundesstaaten galten bislang als sicheres Hillary-Land. Aber selbst hier bröckelt die Front, und selbst hier gewinnt Barack Obama, jeden Tag mehr. Meinungsumfragen zeigen ihn in Texas schon gleichauf mit Hillary Clinton.

In höchster Not appellierte Gatte Bill an die Wähler vor Ort: "Wenn sie in Texas und Ohio gewinnt, dann wird sie die Kandidatin", sagte er. " Wenn Ihr sie aber jetzt nicht wählt, dann glaube ich nicht mehr an einen Sieg. Es hängt jetzt alles von Euch ab."

Was würde Hillary Clinton anderes übrig bleiben als anzugreifen? In den vergangenen Tagen hatte sie es versucht. "Taten sprechen lauter als Worte". "Er ist nicht bereit." "Lasst uns zur Sache kommen." "Selbst seine Mitarbeiter können auch nur einen seiner Erfolge erinnern."

Sie ist etwas blass

Austin, Texas, 19 Uhr Ortszeit, sie im schwarzen Anzug, er im schwarzen Anzug, sie ein bisschen blass, er ein bisschen heiserer als sonst, die Falten bei beiden weggeschminkt. Weiße Schwingsessel, blaue Tische. Würde sie jetzt den Flammenwerfer auspacken?

Selbst wenn sie es wollte, sie kam gar nicht dazu.

Schon vor Beginn hatten sich einige Beobachter hinter der Bühne gewundert. Da ging sie auf ihn zu, begrüßte ihn mit "Hallo, Barack", er legte den Arm um ihre Schulter, sie plauderten über ihre Sicherheitsleute und über Cowboystiefel. Als ob sie geahnt hätte, dass er überzeugen würde. Und Barack Obama strahlte über weite Teile der gestrigen Debatte. Offen, cool, konzentriert, detailgenau, er hatte seine Hausaufgaben gemacht. Gesundheitsreform, Einwanderer, Außenpolitik und vor allem die Wirtschaftspolitik - er hatte konkrete Antworten auf alle Fragen. Da saß kein Hoffnungsverkäufer, da saß ein Mann, den man sich im Oval Office vorstellen kann. Einer der Lösungen anbietet - obwohl das Hillary Clinton für sich reklamiert. Und es war kein Zufall, dass die Worte "Hoffnung" und "Wandel" gestern Abend kaum zu hören waren. Dass er "Mr. Inspiration" ist, weiß mittlerweile jeder.

Er war ruhig, cool, und er war gut, sehr gut. Zeigte Substanz und Stil. Er schaute sie an, er machte sich Notizen. Legte ihr den Arm auf die Schulter, zeigte beste Manieren, rückte ihr den Stuhl zurecht. "Ich möchte nicht zuviel Zeit in Anspruch nehmen", sagte er. "Hören wir, was Senator Clinton zu sagen hat." Und dann debattierten die beiden zivilisiert wie Musterschüler über Sachfragen. Er bezog sie ein: "Wir beide wollen die Probleme lösen. Wir beide haben gute Ideen. Aber gute Ideen sterben in Washington. Wir müssen das Land zusammenbringen, um die Probleme des Landes zu lösen. Wir sollten uns nicht gegenseitig runterziehen." Was blieb ihr Anderes, als zuzustimmen. Und zu lächeln.

Hillary wird ausgebuht

Einmal versuchte sie einen Angriff. Kritisierte ihn, weil Obama angeblich Teile der Rede eines Freundes geklaut habe. Plagiat, tönte sie. Obama schüttelte den Kopf, aber er musste erst gar nicht antworten - die Zuschauer buhten Hillary Clinton aus.

Sie muss jetzt gewinnen. Doch Obama hat das Momentum, er hat das Geld, sein Wahlkampf gilt schon jetzt als historisch. Ihre Strategen sind zerstritten, ihr Wahlkampf zersplittert, sie braucht dringend Geld für die teure Fernsehwebung in den großen Bundesstaaten. Hatte zum Valentinstag schmalzige Bettelbriefe an potentielle Spender geschrieben: "Du hast mein Herz berührt". Ihr Pressestab wusste von Kleinspendern zu berichten, einem College-Studenten, der jetzt abends nur noch Nudeln isst, von Arbeitslosen gar, die aufs Mittagessen verzichten, weil sie für Hillary spenden. Doch gerade wurden die jüngsten Zahlen veröffentlicht: demnach verdienten Hillarys drei Top-Strategen allein im Januar fünf Millionen Dollar. Das macht selbst Großspender stinkesauer. Mit 13,8 Millionen Dollar hat sie im Januar gerade mal ein Drittel der Spendensumme eintreiben können, die Barack Obama erhielt: 36 Millionen Dollar - ein Rekord in der Geschichte Amerikas. Und jetzt, Ende Februar und elf Vorwahlsiege weiter, hält das Obama-Fieber an, mit bis zu 2,5 Millionen Dollar Spenden - pro Tag, die meisten kleine Beträge, per Internet überwiesen.

Fünf Millionen aus dem Privatvermögen

Hillary Clinton hingegen musste fünf Millionen Dollar aus ihrem Privatvermögen vorstrecken. Und niemand glaubt an einen Zufall, dass vor wenigen Tagen eine angeblich unabhängige Gruppe gegründet wurde. Sie nennt sich "American Leadership Project", sie schaltet TV-Werbung, die Hillary Clintons Werbespots ähneln. Die Gruppe gehört zu den so genannten 527ern. Solche "unabhängigen" Gruppen hatten vor vier Jahren mit ihren Schmutzkampagnen den damaligen Präsidentschaftskandidaten John Kerry zu Fall gebracht. Hinter dem Projekt sollen reiche Clinton-Unterstützer stecken: 100 Großspender, die jeweils 100.000 Dollar spenden sollen.

Das alles riecht nach Verzweiflung, nach rutschendem Grund, nach Niederlage. Nach der Niederlage in Iowa, ganze sechs Wochen ist es her, hatte es Hillary Clinton mit allem Möglichen probiert. Hatte eine Träne verdrückt und so die angeblich wahre Hillary gezeigt. Hatte es mit persönlichen Angriffen auf Barack Obama versucht, immer wieder seine mangelnde Erfahrung kritisiert, seine angeblich leeren Versprechungen. Es klappte nicht, nichts blieb an ihm heften. Gatte Bill hatte die Rassenkarte gezückt, das brachte seiner Frau vielleicht ein paar Stimmen bei älteren Weißen - aber die Mehrheit der Wähler wandte sich angewidert ab. Elegant wie ein Florettfechter konnte Barack Obama die Angriffe aus dem Billary-Lager abwehren. Er blieb über dem Schlachtengetümmel, ließ sich einfach nicht beirren. Wandelte weiter auf dem Pfad der Hoffnung und gewann eine Vorwahl nach der anderen.

Sie forderte die TV-Duelle

Bislang hatte sie verlorenen Grund immer im Fernsehen wettmachen können. Sie hatte viele Debatten beherrscht, sich als "CEO" des amerikanischen Volkes präsentiert. Und immer schien es, als fühle er sich unwohl, manchmal stotterte er herum und es schien es, als fühle sich Barack Obama wohler, wenn er vor 20000 Zuschauern auftritt. Hartnäckig hatte sie TV-Duelle gefordert, mindestens fünf, am besten sieben. Er ließ sich auf zwei ein.

Und gestern machte er eine verdammt gute Figur. Man hätte ihn zum Sieger des gestrigen Duells ausgerufen. Wäre da nicht jene letzte Minute gewesen, jener Moment, von dem man am anderen Morgen noch sprechen wird und vielleicht auch noch in einigen Tagen: Als ob sie einer Eingebung folgte, hielt Hillary Clinton inne, sie drehte sich ihrem Opponenten zu, sie streckte die Hand aus und sie sagte: "Es ist wirklich eine Ehre, hier mit Ihnen zu sitzen, Senator Obama". Und dann ergriff er die ausgestreckte Hand und schüttelte sie mit ernsthaftem Gesicht. Und einen Moment schien es, als ob es Hillary Rodham Clinton nicht darum ginge, um jeden Preis zu gewinnen.