Manche belächeln es als linken Debattierclub, andere verspotten es als Karneval der Weltverbesserer. Doch seit der Kampfansage an die US-Regierung und an amerikanische Firmen, die vom Irak-Krieg profitieren, dürfte mancher Politiker und mancher Konzernchef etwas genauer auf das Weltsozialforum (WSF) blicken. Bei dem sechstägigen Treffen im indischen Bombay kommen diesmal mehr als 100 000 Globalisierungskritiker aus aller Welt zusammen - und im vierten Jahr des Forums zeigen sie womöglich richtig Zähne.
So unterschiedlich die Herkunft der Teilnehmer und die Ziele der Gruppen bei dem Treffen in der indischen Finanzmetropole auch sind - neben dem Motto, dass eine andere Welt möglich ist, eint sie vor allem die Kritik an der US-Regierung, am Irak-Krieg, an der Besetzung und am "Ausverkauf" des Landes. Auf dem WSF-Gelände setzte sich am Wochenende immer wieder ein Slogan bei Demonstrationen durch: "George Bush - Terrorist". Besonders viel Applaus bekam denn auch die indische Starautorin Arundhati Roy mit ihrer Kritik an den USA.
"Sich im Krieg befinden"
Das WSF müsse erwägen, "sich im Krieg zu befinden", sagte die Schriftstellerin - ungewohnt harte Worte auf dem Forum, bei dem sich die Gruppen zur Gewaltfreiheit bekennen. Roy rief dazu auf, bis zum Ende des WSF am Mittwoch zwei US-Konzerne zu benennen, die vom Irak-Krieg profitierten, und diese dann "dicht zu machen". Sollte die Idee beim Forum Anhänger finden und sich in internationale Kampagnen, Boykottaktionen oder Massendemonstrationen niederschlagen, hätte das Treffen eine neue Dimension bekommen.
Das WSF, das bislang im brasilianischen Porto Alegre stattfand, versteht sich als Gegenpol zum Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos, wo von Mittwoch an Wirtschaftführer und Politiker zusammenkommen. Zugleich sieht es sich aber als Treffen, bei dem alle zu Wort kommen, Gruppen Allianzen schmieden und Menschen mit gleichen Zielen sich austauschen können - und wo es weder eine Abschlusserklärung noch einen Forderungskatalog oder einen Dialog mit den Mächtigen gibt.
Ergebnisse schwer messbar
Dass durch das Forum trotzdem bereits einiges bewirkt wurde, ist unumstritten - auch wenn die Ergebnisse schwer messbar sind. Beim WSF 2003 verabredeten Gruppen etwa die Massendemonstrationen gegen den Irak-Krieg im Februar. Die Globalisierungskritiker verbuchen es mit als ihren Erfolg, dass die Verhandlungen der Welthandelsorganisation im Herbst in Cancun scheiterten - arme Länder um die Wortführer Brasilien und Indien weigerten sich, ihre Märkte für die subventionierten Agrarprodukte aus dem reichen Westen zu öffnen.
"Das kühne Auftreten Brasiliens in Cancun wäre ohne die Porto-Alegre-Tradition nicht möglich gewesen", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Ulrich von Weizsäcker, der nach Bombay gereist ist. "Und machtpolitisch war Cancun im vergangenen Jahr das zweitwichtigste Ereignis nach dem Irak-Krieg." Firmen beim WSF den Krieg zu erklären, wie Roy es nun vorschlägt, ist allerdings neu. Sven Giegold vom Koordinationsrat von Attac Deutschland hält die Idee "persönlich für prinzipiell gut", auch wenn er fordert, dass unter den angeprangerten Konzernen auch ein europäischer ist.
So manchem aus dem Herzen gesprochen
Gemessen am Beifall scheint Roy so manchem Teilnehmer des Weltsozialforums aus dem Herzen gesprochen haben. Dass David auch heute noch Punkte gegen Goliath sammeln kann, haben die indischen WSF-Gastgeber vergangenen Monat bewiesen: Gemeinsam mit lokalen Gruppen haben Bewohner eines Dorfes im südindischen Bundesstaat Kerala Coca-Cola vor Gericht gezerrt, weil die örtliche Fabrik des Getränkegiganten angeblich zu viel Grundwasser abpumpte. Nach dem Urteil muss Coca-Cola nun woanders nach Wasser suchen.
Der Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz verlangte am Montag, Firmen müssten für alle ihre Handlungen voll zur Verantwortung gezogen werden können. Entsprechende Regelungen seien machbar, betonte der frühere Berater der US-Regierung und Weltbank-Vizepräsident in Bombay der mehr als 100 000 Globalisierungskritiker in der indischen Finanzmetropole.
Ergebnisse müssen Eingang in die Regierungspolitik finden
Für die Bundesregierung sagte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, berechtigte Argumente der Globalisierungskritiker würden Eingang in die Regierungspolitik finden. "Auch wenn wir in vielen Punkten unterschiedlicher Meinung sind, stehen wir vor derselben zentralen Herausforderung: Wie wir die Globalisierung gerechter gestalten."
Müller betonte: "In welchem Maße sich die Armen dieser Welt selbst organisieren und ihre Forderungen an die Internationale Gemeinschaft stellen, zeigt die Dramatik der Lage. Es erhöht den Druck auf uns, unseren internationalen Verpflichtungen im Kampf gegen Armut, Aids und unfaire Handelsbedingungen nachzukommen."