Krieg in der Ukraine Weitere Milliardenhilfe? Ja, nein, vielleicht. Selenskyjs ernüchternde USA-Reise

US-Präsident Joe Biden (r) schüttelt seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj die Hand
Besinnlicher Schein: US-Präsident Joe Biden (r) und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj gaben sich betont positiv
© Evan Vucci / AP / DPA
Wolodymyr Selenskyj kam für ein klares Ja und geht mit einem schwammigen Vielleicht. Die als schicksalsträchtig eingestuft USA-Reise des ukrainischen Präsidenten endete, wie sie begann: mit einer Menge Zweifel. 

Als Wolodymr Selenskyj, Präsident und Oberster Verteidiger der Ukraine, vor rund einem Jahr das erste Mal seit Kriegsbeginn sein Land verließ, war das Reiseziel klar. Schließlich hielt kein anderer Verbündeter die Ukrainer so verlässlich am Leben und am Kämpfen wie die USA.

Er wurde empfangen wie ein Rockstar. In seiner Rede vor dem US-Kongress gab es Standing Ovations, von rechts und links. Damals, im heute gefühlt so fernen Jahr 2022, war Selenskyj ein gefragtes Idol. Die Mächtigen und solche, die es sein wollten, standen Schlange für ein Selfie. Der Mann in Olivgrün als Markenbotschafter der Freiheit, sagten die einen. Ein lebendiger Pappaufsteller für politisches Green-Washing, dachten die anderen. Das aber nur insgeheim. Schließlich wollte jeder ein Freund sein. Zustimmung als Werkseinstellung.

Ein Jahr später hat sich das Bild gewandelt. Die Verbündeten sind müde. Und ihre Geldbeutel zugeknöpft. Umso größer war der Druck, der Anfang dieser Woche auf Selenskyj vor seinem inzwischen drittem Besuch in Washington lastete. Große Worte standen im Raum: "Schicksalsträchtig" sei die Reise, womöglich gar "kriegsentscheidend". Am Ende blieben mehr Fragen als Antworten.

Selenskyjs Rollentausch: vom Helden zum Bittsteller

Dass Selenskyj diesmal nicht mit Fanfaren empfangen würde, war abzusehen. Schließlich kam er weniger als gefeierter Freiheitskämpfer, sondern vornehmlich in seiner Funktion als Bittsteller. Tatsächlich beherrscht er damals wie heute beide Rollen – nur hat sich der Schwerpunkt verlagert. Die Lage ist ernst.

Kiew geht das Geld aus, Washington die Geduld. Im nicht enden wollenden Haushaltsstreit zerfleischen sich Republikaner und Demokraten, die Ukraine kommt dabei zusehends unter die Räder. Die so dringend benötigten neuen Milliardenhilfen sind zum innenpolitischen Spielball der verfeindeten Parteien geworden. Erst vergangene Woche hatte der Senat das von Präsident Joe Biden geforderte, mehr als 100 Milliarden Dollar schwere Maßnahmenpaket abgelehnt. Je nachdem, wen man fragt, sind die Ukrainer wahlweise zum Jahres- oder spätestens zum Winterende nicht mehr in der Lage, die stockende Offensive im Osten fortzuführen. Was dann passiert, mag niemand verlässlich sagen. Fest steht: Die Zeit drängt. 

Ukraine-Hilfen: Biden macht "keine Versprechungen"

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstagabend kündigte US-Präsident Joe Biden zwar ein weiteres, 200-Millionen-Dollar-Paket an – allerdings aus längst freigegebenen Mitteln. Was die Zukunft angeht, gab sich der 81-Jährige betont optimistisch. Er sei guter Dinge, dass der Kongress sich irgendwie noch einigen würde. Allerdings könne er "keine Versprechungen" machen. Übersetzt: An mir liegt’s nicht! Die Entscheider sitzen in der anderen Ecke. Auffällig auch: Biden wich von seinem bisher üblichem Treueschwur "solange wie nötig" ab und griff stattdessen zur Floskel "solange wir können". Die felsenfeste Allianz bröckelt, zumindest rhetorisch.

Doch so überschwänglich Biden auch den Mut der Ukrainer pries, lautet die bittere Wahrheit: Darum geht es längst nicht mehr. Die Milliarden-Hilfen sind ein politisches Faustpfand, mit dem die Konservativen die Biden-Regierung zu einer massiv strengeren Grenzpolitik "bewegen" wollen. 

"Es hat nichts mit Ihnen zu tun", brachte es der republikanische Senator Lindsey Graham laut "New York Times" auf den Punkt und meinte damit den Gast aus Europa. Und einen Punkt hat er, wenn er sagt, dass Selenskyj einen verschwindend geringen Einfluss auf die rechten Launen hat. Der vermied tunlichst, sich in US-internes Gezänk einzumischen und blieb stattdessen bei seinem altbewährten Argument, wonach sich die USA letztlich selbst schützten, wenn sie die Ukraine schützen. Diese "alte Leier" hat allerdings an Wucht verloren. 

Selenskyj hatte sich unter anderem auch mit der Nummer Drei im Staat, dem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses getroffen. Mike Johnson stellte im Anschluss jedoch klar, dass sich nichts an der Position seiner Partei geändert habe. Die Befürchtung, dass der Krieg nicht in der Ukraine, sondern in Washington entschieden wird, ist auch nach Selenskyjs Besuch keineswegs kleiner geworden. 

"Wir werden langsam aufgefressen" – Mychajlo Podoljak über die Kriegsdauer und Russland als Gegner
"Wir werden langsam aufgefressen" – Mychajlo Podoljak über die Kriegsdauer und Russland als Gegner
© stern.de
"Wir werden langsam aufgefressen" – Mychajlo Podoljak über die Kriegsdauer und Russland als Gegner

Gezänk in den USA: eine "praktisch unmögliche" Einigung

Wie inzwischen üblich, gibt sich ein großer Teil der Grand Old Party wenig kompromissbereit. Die würden ihre absurden Forderungen in der Einwanderungspolitik als Ausrede nutzen, meint der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer. In Wahrheit hätten sie kein Interesse an einem Deal.

In jedem Fall tickt die Uhr weiter. Es sei "praktisch unmöglich", dass bis Weihnachten eine Lösung in Sachen Grenzstreit gefunden würde, erklärte Schumers republikanisches Pendant im Senat, Mitch McConnell. Die Ukrainer müssen also weiter bangen. Über die Feiertage pausiert der Kongress. Im Gegensatz zum Krieg. 

Die Erwartungen waren groß, die Hoffnung klein. Enttäuscht dürfte Selenskyj am Ende trotzdem sein. Vor einem Jahr ging es mit einem klaren Ja im Gepäck nach Hause. Heute muss sich Selenskyj  mit einem schwammigen Vielleicht begnügen. Womöglich ist er damit noch gut bedient. Der Empfang dürfte tendenziell nicht herzlicher werden – erst recht nicht, wenn ein gewisser Donald Trump erneut ins Weiße Haus einzieht.

Quellen: "New York Times"; "Politico”; "Washington Post"; DPA