Es kommt selten vor, dass die Nato und westliche Regierungen die Meinung der Taliban-Propagandaabteilung zumindest im Grundsatz teilen. Am Donnerstag war einer dieser raren Momente: Niemand dürfte der Einschätzung von Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid widersprechen, der die auf einem Internet-Video gezeigte Schändung der Leichen von mutmaßlichen Aufständischen durch US-Soldaten "unmenschlich, unmoralisch und brutal" nannte. In seltener Einmütigkeit verurteilten nicht nur die Taliban, sondern auch Präsident Hamid Karsai, die Nato und das Pentagon die Tat.
Offiziell wurde die Echtheit des Videos zunächst nicht bestätigt. Die Herkunft und Echtheit des im Internet verbreiteten Amateurvideos seien bislang noch ungeklärt, teilte das Pentagon mit. Derartige Taten stünden jedoch nicht im Einklang mit den Werten der Marineinfanterie. "Diese Angelegenheit wird vollständig aufgeklärt."
Die Afghanen sind Kummer mit den internationalen Truppen gewohnt. Zwar behandelt die überwältigende Mehrheit der ausländischen Soldaten die einheimische Bevölkerung respektvoll. Doch Einzelne sorgen immer wieder für negative Schlagzeilen. Ein Beispiel aus den vergangenen Jahren war der Skandal um die Totenschädel-Fotos, auf denen Deutsche mit Menschenknochen posierten. Oder - weitaus schwerwiegender - das selbst ernannte "Kill-Team": Fünf Amerikaner, die 2010 aus Mordlust Zivilisten getötet und die Leichen verstümmelt haben sollen.
Hinzu kamen Foltervorwürfe gegen US-Truppen im Gefängnis auf dem Stützpunkt Bagram. Zivile Opfer bei Militäroperationen fachen den Unmut weiter an. Das Image der Truppen, die zu Beginn des Einsatzes von weiten Teilen der Bevölkerung willkommen geheißen wurden, ist ramponiert. Einer Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung vom vergangenen Herbst zufolge hält die Mehrheit der Afghanen die ausländischen Soldaten inzwischen für Besatzer.
Ruf der Isaf ruiniert
Der jüngste mutmaßliche Skandal wird den wachsenden Hass vor allem auf die Amerikaner nun aller Voraussicht nach weiter befeuern. Kaum etwas dürfte die Bemühungen der Nato-geführten Schutztruppe Isaf um die "Herzen und Köpfe" der Bevölkerung effektiver unterminieren als US-Soldaten, die lachend auf die Leichen von Afghanen urinieren. Dass es sich bei den Toten um mutmaßliche Aufständische handelt, ist auch für Militärs irrelevant. "Diese respektlose Tat ist unerklärlich und nicht in Übereinstimmung mit den hohen moralischen Maßstäben, die wir von Koalitionstruppen erwarten", teilte die entsetzte Isaf mit.
Deutlich wurde auch Präsident Karsai. Er fordert von der Isaf und den Amerikanern immer vehementer, Afghanistan endlich als souveränes Land zu respektieren, in dem die Truppen nicht selbstherrlich agieren können. In einer Mitteilung des Präsidentenpalastes äußert sich seine Regierung nun "zutiefst verstört über ein Video, das zeigt, wie amerikanische Soldaten die Leichen von drei Afghanen entehren".
Auch wenn die USA - wie von Karsai gefordert - die Schuldigen so schwer wie möglich bestrafen sollten, dürften die ohnehin belasteten bilateralen Beziehungen weiteren Schaden erlitten haben. Die Verhandlungen über ein strategisches Abkommen zwischen Washington und Kabul, die sich seit Monaten verzögern, werden durch das abstoßende Video ebenfalls nicht erleichtert werden.
Und auch Karsais Image dürfte durch den Vorfall weiter angekratzt werden: Ihm gelingt es trotz all seiner Appelle, Drohungen und Wutausbrüche nicht, die ausländischen Truppen an die Leine zu legen. Der jüngste Vorfall ist eine Steilvorlage für die Aufständischen. Sie machten am Donnerstag im Zusammenhang mit der geplanten Eröffnung eines Taliban-Büros im Golf-Emirat Katar erneut deutlich, dass sie Karsais "Handlanger-Regierung" nicht anerkennen werden.
Immerhin: Die Taliban nutzten den jüngsten Skandal nicht dafür, zaghafte Fortschritte in Richtung einer politischen Lösung am Hindukusch zurückzudrehen. Taliban-Sprecher Mudschahid sagte, das Video werde keine Auswirkungen auf das geplante Büro in Katar haben. Dort wollen die Aufständischen nach eigenem Bekunden den "Dialog mit der Internationalen Gemeinschaft" suchen.
Mudschahid betonte allerdings, dabei handele es sich nicht um Friedensgespräche - der "Heilige Krieg" werde weitergeführt. Und im Zusammenhang mit dem Video über die Leichenschändung sagte er, der Vorfall werde dazu beitragen, "dass die Amerikaner und ihre Alliierten ein kurzes Leben in Afghanistan haben".