Zumindest was die nächste Generation angeht, besteht noch Hoffnung. Rund 700 Millennials, also die Generation der um die 30-Jährigen, kandidieren in den USA für die anstehende Zwischenwahl. Als ihre herausragende Eigenschaft gilt ihr überparteilicher Pragmatismus: keine Ideologie, kein "das haben wir schon immer so gemacht", kein Schwarz-Weiß-Denken. Doch bis die Jungen am Drücker sind, sitzt in Weißen Haus ein Mann, der Dinge sagt wie: "Es ist nicht mein Job, die Menschen zu beruhigen. Ich werde meinen Ton nicht abmildern, er hat mich hierher gebracht", so Donald Trump in der Sendung "Axios on HBO".
Besorgniserregende Gewaltwelle
Amerikanische Wahlkämpfe waren schon immer mehr Schulhofschlägerei als Salongeplänkel, aber mittlerweile weicht der ruppige Umgang mehr und mehr purem Hass. Allein in den letzten Tagen starben elf Menschen bei einem Angriff auf eine Synagoge. Zwei Schwarze wurden gezielt in einem Supermarkt getötet, und ein glühender Trump-Fan hat ein Dutzend Briefbomben an Oppositionspolitiker und den Sender CNN verschickt. Die US-Armutsforscherin Heidi Beirich sagte im Sender al Dschasira, sie könne sich nicht an eine derartig besorgniserregende Gewaltwelle vor einer Wahl erinnern. Und was macht der Präsident? Zeigt auf seinem Twitterkanal ein Wahlkampfvideo, das den Hass auf Einwanderer geradezu zelebriert.
Die ganz besonders düsteren Apologeten sehen die USA bereits am Rande eines zweiten Bürgerkriegs. So etwa der "New York Times"-Kolumnist Thomas L. Friedman: "Wir finden keine gemeinsame Basis mehr, uns respektvoll zu streiten. Die andere Seite ist 'der Feind'", schreibt er. Vor allem Donald Trump und seine aggressive wie verächtliche Demagogie wird für die vergiftete Stimmung im Land mitverantwortlich gemacht. Doch auch die Gegenseite ist längst vom Freund-Feind-Virus befallen. So sagte Hillary Clinton jüngst im Duktus eines alleinseligmachenden Autokraten: Die Demokraten müssten "härter" gegen Trump vorgehen. Erst wenn sie die Macht zurückerobert hätten, könnten sie "zum Anstand zurückkehren". Dabei kennt die Führung der Oppositionspartei ohnehin schon kein anderes Thema mehr als "Trump muss weg". Politische Alternativen zum Präsidenten? Fehlanzeige.
Demokraten wollen mehr als "Anti-Trump-Partei" sein
Im neuen stern erzählt die frühere Soladatin Mikie Sherrill aus New Jersey, warum sie jüngst in die Politik eingestiegen ist und wie sie versucht, als Demokratin eben nicht nur Teil der "Anti-Trump-Partei" zu sein. "Die Leute wollen meine Vorschläge für die Probleme vor ihrer Haustür hören." Viele Republikaner seien von Trumps Aggressivität selbst abgestoßen. "Die kann ich als Demokratin nur mit Fakten erreichen, nicht, indem ich selbst wüte", sagt sie. Solche Stimmen der Vernunft aber scheinen immer weniger Gehör zu finden, und die US-Medien beschäftigt derzeit wenig anderes als der Hass, der die Gesellschaft in Stücke zu reißen droht. Über die Gründe herrscht weitgehend Einigkeit: Neben dem obersten Hetzer im Weißen Haus werden sozialen Medien und die Medien – konservative, liberale und linke – verantwortlich gemacht.
Die Argumentation läuft so: Erzkonservative Massenmedien wie zum Beispiel Fox News zeichnen seit Jahren das Zerrbild einer USA unter Dauerfeuer und einer Verschwörung von Einwanderern, Homosexuellen, Muslimen oder was sonst noch alles nicht weiß, nicht protestantisch und nicht männlich ist. Die linken Medien dagegen beäugen alles argwöhnisch bis feindselig, was nicht exakt ihren Vorstellungen von Political Correctness entspricht, und die liberalen Medien sind sich darin einig, dass jemand wie Donald Trump unwürdig und unfähig sei, Präsident der Vereinigten Staaten zu sein. Befeuert wird die Lagerbildung durch die ätzende Kraft in den Filterblasen der sozialen Medien. Im Übrigen, so Autoren wie Francis Fukuyama ("Das Ende der Geschichte", "Identität"), ist das alles kein rein amerikanisches Phänomen, sondern überall im Westen zu beobachten. Der Brexit sei dafür das eindrücklichste Beispiel, so der Politologe.
Die jetzt anstehenden Wahlen, bei denen Teile des US-Kongresses neu gewählt werden, sind daher auch eine Abstimmung darüber, wie viel Hass die Amerikaner noch gewillt sind zu akzeptieren. Kurz gesagt geht es am 6. November darum, ob Trumps Kurs der Aufwiegelung und Abschottung bestätigt wird oder nicht. Sollten sich die Umfragen bewahrheiten, dann lautet die Antwort darauf: sowohl als auch. Vermutlich werden die oppositionellen Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus (vergleichbar mit dem deutschen Bundestag) erlangen, während die zweite Kammer, der Senat, in der Hand der regierenden Republikaner bleibt. Anders gesagt: Gut möglich, dass der Konfrontationskurs in den USA nicht stoppt, sondern sich nur etwas verlangsamt.
Quellen: "New York Times", "Axios", "The Seattle Times", al Dschasira, Donald Trump auf Twitter, "Politico", RealClearPolitics
