Die Mauer? Fehlt. Berghain oder Holocaust-Mahnmal: auch nicht drin. Trotzdem sieht der "LobbyPlanet" auf den ersten Blick genauso aus wie ein normaler Stadtführer. Und der Name klingt nach "Lonely Planet", dem wohl bekanntesten Verlag für Reiseführer der Welt. Beides ist Absicht. "Es gibt ja die alten Sprüche, dass man bei Würsten und Gesetzen nicht wissen will, was drin ist", sagt Ulrich Müller, Chef des Vereins LobbyControl. "Ich glaube, das ist Unsinn."
Lobbyisten versuchen, Gesetze zu beeinflussen. Im Sinne ihres Auftraggebers, etwa eines Unternehmens - und am liebsten im Verborgenen. Das will der Verein ändern. Der "Reiseführer durch den Lobbydschungel" soll deshalb zeigen, welche Interessenvertreter wo in der Hauptstadt ihren Sitz haben. 2008 hat LobbyControl ihn erstmals veröffentlicht, jetzt bringt er eine neue, überarbeitete Ausgabe heraus: 324 Seiten dick, Auflage 20.000 Stück.
Immer mehr Lobbyisten kämen nach Berlin, sagt Müller bei der Vorstellung des Buches. Geschickt von Internetfirmen wie Google und Facebook - oder von Banken, die seit der Finanzkrise Angst vor Regulierung hätten. Rund 5000 Lobbyisten gebe es derzeit in der Hauptstadt. "Das ist vor allem eine Herausforderung für die Demokratie", meint Müller.
Wer den Stadtführer aufschlägt, kann aus rund einem halben Dutzend Rundgängen wählen. Sie führen zu Verbänden wie dem der Automobilindustrie, zu Denkfabriken und Lobby-Büros, die sich lieber "Kommunikationsbüro" nennen. Die meisten Touren finden im und um das Regierungsviertel statt. Denn die Nähe zu Politikern spiele eine wichtige Rolle, sagt Christina Deckwirth, einer der "LobbyPlanet"-Autorinnen. Daran hätten auch Smartphone und E-Mail nichts geändert. So hätten etwa Lobbyisten für die Allianz-Versicherung, die Commerzbank, Rüstungsunternehmen und der Ölkonzern BP ihre Büros am Pariser Platz - vor dem Brandenburger Tor und nur wenige Gehminuten vom Reichstag entfernt.
Auch Gewerkschaften und Kirchen sind Lobbyisten
Doch nicht nur Milliardenkonzerne schicken Lobbyisten in die Hauptstadt. Auch Kirchen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace betreiben Lobbyarbeit - und natürlich auch ein Verein wie LobbyControl selbst. "Lobbyismus ist nicht grundsätzlich schlecht", betont Deckwirth. Das Problem sei ein Machtungleichgewicht - zugunsten derer, die für die Beeinflussung der Politik Millionen ausgeben können. Deshalb fordern sie und ihre Kollegen mehr Transparenz: ein Register für alle Lobbyisten, in dem steht, wer für welchen Auftraggeber unterwegs ist. Derzeit gehen Lobbyisten im Bundestag oft unerkannt ein und aus, weil die Fraktionen eigenmächtig Hausausweise verteilen können.
Auch Stadtführungen bietet LobbyControl an. Menschen wie Dietmar Jazbinsek, Brille, graues Haar, führen Interessierte von Lobbybüro zu Lobbybüro. "Exxon Mobil" steht dann zum Beispiel draußen am Eingang. Der amerikanische Energiekonzern "sponserte" mehrere Gymnasien in Niedersachsen - Werbung an Schulen ist zwar verboten, solche Kooperationen aber nicht. Erst nach heftiger Kritik beendete das niedersächsische Kultusministerium diese Verstrickung von Bildung und Wirtschaft.
Oder Jazbinsek führt in den Hof eines italienischen Restaurants. Tische und Stühle stehen unter Baumkronen, laden ein zu Pizza, Vino und Gemütlichkeit. Hier veranstalte der Bundesverband Medizintechnologie einen "Stammtisch". Nicht für die Abgeordneten selbst, sondern für ihre Mitarbeiter. "Die Abgeordneten haben einfach viel zu viele Termine", sagt Jazbinsek. Also versuchten die Lobbyisten den Umweg über deren Büroleiter. Doch nicht immer sind persönliche Treffen zwischen Volks- und Interessenvertreter nötig: Manchmal sind Lobbyist und Politiker nämlich auch ein und dieselbe Person.
Nur die Lobbyisten lachen nicht
"Marburger Bund" steht an einem Haus an der Rheinhardtstraße. Nur einen knappen Kilometer vom Reichstag entfernt hat hier der Berufsverband der Ärzte sein Hauptquartiert. Rudolf Henke, Internist aus Aachen, ist sein Vorsitzender. Doch Henke sitzt auch für die CDU im Bundestag - und ist dort nicht nur Mitglied im Gesundheitssausschuss, sondern sogar dessen stellvertretender Vorsitzender. Ein klarer Interessenkonflikt, kritisiert LobbyControl.
Die Lobbyisten wüssten mittlerweile, dass es Führungen zu ihren Büros gibt, sagt Stadtführer Jazbinsek. Manche stürmten heraus und brüllten die Gruppe an. Andere stellten sich dazu und schrieben fleißig mit. Ob sich ein Lobbyist unter die Gruppe gemischt hat, könne er ganz leicht herausfinden: mit einem Witz. "Die sind so angespannt, die lachen nicht", sagt er. Andere würden die Gruppe lieber hereinbitten, um ihre Gunst werben wie um die der Bundestagsabgeordneten. "Das", sagt Jazbinsek, "ist fast noch gefährlicher."