Kurz vor Schluss seiner Rede auf dem Parteitag stellte Christian Lindner die entscheidende Frage. Na endlich! Diese Frage fehlt seit Wochen in keiner Talkshow, sie wabert durch die Leitartikel der Zeitungen, sie taucht fortwährend in politischen Fachsimpeleien auf. Eigentlich kann man sie schon nicht mehr hören. Und nur Lindner kann sie beantworten.
Nach knapp einer Stunde war es wo weit. Der Parteichef selbst rief die Frage auf. Da spitzte man natürlich nochmal die Ohren nach einer Rede, in die der Vorsitzende schon vieles gepackt hatte, rhetorisch allerdings weit hinter früheren Auftritten zurückgeblieben war. Aber vielleicht erführe man dafür jetzt die eine entscheidende Antwort, was wünschenswert wäre, weil davon der Fortbestand der Ampel-Koalition abhängt, mithin die politische Gemengelage insgesamt in Deutschland.
Die Frage lautet: Wie geht es weiter mit der FDP?
Aber ach, Christian Lindner hat dazu nichts gesagt. Nicht in den knapp 60 Minuten seiner Rede vorher und schon gar nicht, nachdem er selbst gefragt hatte. Stattdessen sprach der FDP-Vorsitzende noch ein paar Minuten über seine Partei, ihre Vorstellungen, ihre Werte und ihre Identität, gerade so, als schwebe die FDP zumindest im politischen Raum völlig losgelöst durch die Gegend. Die Ampel-Koalition, quasi eine stellare Konstellation, oder in den Worten des FDP-Chefs: "die politischen Umständen, wie sie nun mal sind".

Eine Rede, mit der man den Abschied einläutet? Nein.
Und so muss man hinterher wieder selber rumstochern in der wenigen Asche, die diese Rede hinterließ, die kein rhetorisches Feuerwerk war. War das eine Rede, mit der man den Abschied aus der Regierung einleitet? Mitnichten. Lindner nannte nicht Freund, noch Feind (von Putin, der AfD und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mal abgesehen). Er verteilte nur ein paar kleinere Spitzen – und das höchst ausgewogen in alle Richtungen.
Die Ampel spielte faktisch keine Rolle. Den Namen Olaf Scholz erwähnte Lindner nicht, mokierte sich nur über Leute, die der Wirtschaft vorhielten, Klagelieder anzustimmen. Das war genauso auf den Kanzler gemünzt wie eine ironische Bemerkung, über die verfassungsrechtliche Expertise der Sozialdemokraten, womit Lindner auf das Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse anspielte. Aber das alles kam eher als Frotzelei daher, als moderate Parteitagsfolklore, angelegt als eine rhetorische Ostereiersuche für seine Zuhörer: Finde die Anspielung hier und überhöre nicht das Witzchen da.
Eine Rede, mit der man sich zur Koalition bekennt? Auch nicht.
War das eine Rede, mit der man sich zum Regierungsbündnis bekennt? Auch das nicht. Man könnte wohlwollend sagen, der FDP-Chef ist ganz bei sich geblieben, bei dem, was für ihn seine Partei ausmacht: das Ökonomische. Ausführlich deklinierte er die Wirtschaftswende, die seine Liberalen verlangen. Andere Themen kamen praktisch nicht vor.
Lindner rezitierte den Forderungskatalog, den die Liberalen aufgestellt haben. Er stellte Leistung und Lust auf Arbeit in den Mittelpunkt und erläuterte seine Positionen bei der Schuldenbremse, der Rente mit 67 und beim Bürgergeld. Er bekräftigte Bedingungen bei der Kindergrundsicherung. Und er bekannte sich zum Klimaschutz, aber mit den Mitteln der Technologie und ohne Verbot und Verzicht. Er lud andere ein, ebenfalls Vorschläge zu machen, und gab sich gesprächsbereit. Keine Schärfe gegen irgendjemand, aber auch kein Enthusiasmus.
Zieht man einen Strich unter diesen Auftritt, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass Christian Lindner die Frage gar nicht beantworten will, wie es mit der FDP weitergeht. Man kann darin eine clevere Strategie vermuten: Der Schwebezustand ist gewollt, er sichert der FDP viel Aufmerksamkeit und hält Lindner alle Optionen offen.
Es könnte aber auch der Versuch sein, mit viel Hokuspokus den eigentlichen Grund zu kaschieren, warum Lindner die alles entscheidende Frage nicht beantwortet: seine Ratlosigkeit. Dann würde Lindner nicht sagen, wie es mit der FDP weitergeht, weil er es nicht will, sondern weil er es nicht weiß. Und eine gewisse Leere am Ende dieser Rede lässt vermuten, dass die Ratlosigkeit tatsächlich die wahrscheinlichste Variante ist.