Die politische Lage seiner Partei ist dramatisch, die wirtschaftliche Lage des Landes auch – und doch blickt FDP-Chef Christian Lindner einem entspannten Wochenende entgegen. Die Liberalen treffen sich zum Bundesparteitag in Berlin. Zwei Tage angeregte Debatte, mehr nicht. Es stehen keine Wahlen an. Es gibt keine eilig formulierten Dringlichkeitsanträge.
Werden das also zwei langweilige und erwartbare Tage? Vielleicht ja doch nicht.
Anders als im vergangenen Jahr, als der Heizungsstreit alles dominierte, hat die FDP-Spitze den Vorlauf zum Parteitag ordentlich orchestriert. Das Präsidium hat ein 12-Punkte-Papier beschlossen, das in gebotener Schärfe zusammenfasst, was Lindner seit Wochen in Interviews fordert. Bürokratieabbau, Steuersenkungen, Arbeitsanreize.
Vom Parteitag soll nur ein Signal an die Koalitionspartner von SPD und Grünen gehen: Wir meinen das sehr, sehr ernst mit der "Wirtschaftswende".
Nun gibt es aber in der Partei der Freiheit ausreichend Freigeister, die so einem Wochenende eine spontane Schlagseite geben können. Der stern hat drei von ihnen gefragt: Was erwarten sie vom Parteitag? Und was haben sie selbst vor?
Frank Schäffler – der Rebell außer Dienst
Er kennt diese Frage, die ihm Journalisten oft und gerne stellen: Was planen Sie jetzt schon wieder? Deshalb muss Frank Schäffler am Telefon erst einmal lachen. "Ich habe nichts Revolutionäres vor", sagt er mit Blick auf den Parteitag. Er hoffe auf klare Worte zur Koalition und eine "kämpferische Rede" von Christian Linder.
Schäffler wirkt tiefenentspannt. Gerade erst hat ihn sein Landesverband in Nordrhein-Westfalen zum Vize-Chef gewählt. Keine schlechte Karriere für einen, der als "Euro-Rebell" einst die Partei spaltete, und der heute im Bundestag mit einer Gruppe, die sich "Ottos Erben" nennt, gelegentlich ein bisschen Opposition in der Regierung übt. Schäffler gefällt, was seine Parteiführung diese Woche aufgeschrieben hat. "Der Leitantrag ist scharf formuliert, schärfer als im letzten Jahr."

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Schärfer als im letzten Jahr? Wer könnte das besser beurteilen als er. Damals waren große Teile der Partei unzufrieden mit dem Heizungsgesetz, wie es der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck plante. Und was die FDP-Spitze an Kritik daran zum Parteitag formulierte, war vielen Liberalen nicht deutlich genug. Schäffler spürte das, und schrieb einen Dringlichkeitsantrag. Mit großem Erfolg: Seine Linie prägte die offensiv-streitlustige Kommunikation der Partei in den folgenden Wochen.
Schäffler will spontan schauen, wann und zu welchem Thema er sich am Wochenende in die Debatte einmischt. Wichtig sei, dass die wirtschaftspolitischen Vorschläge mit den anstehenden Haushaltsverhandlungen verknüpft würden. "Kein Haushalt ohne Wirtschaftswende!", sagt er. Und da klingt der Rebell außer Dienst dann doch fast so, als wolle er im Zweifel höchstpersönlich dafür sorgen.
Franziska Brandmann – die junge Liberale
Für Franziska Brandmann wird dieser Sonntag ein ganz besonderer Tag. Die Vorsitzende der Jungen Liberalen (Julis) wird 30. Und was könnte es da Schöneres geben, als seinen Geburtstag auf einem FDP-Bundesparteitag zu feiern? Na, herzlichen Glückwunsch!
Einen Tag vorher, zum Auftakt des Parteitags, will Brandmann mit einer kleinen Foto-Aktion gleich eine Botschaft loswerden und Arbeitsminister Hubertus Heil, SPD, symbolisch die rote Karte zeigen. "Das Rentenpaket in seiner jetzigen Form ist nicht generationengerecht finanzierbar." Genau das schreibe aber der Koalitionsvertrag vor. "Wir fordern deshalb Nachverhandlungen", sagt Brandmann.
Auf das sogenannte Rentenpaket II, das die Juli-Chefin nun kritisiert, hat sich Heil gerade erst mit Finanzminister Lindner geeinigt. Die SPD hat durchgesetzt, dass das Rentenniveau stabil bleibt. Die FDP bekommt das Generationenkapital, mit dem der Staat zum ersten Mal Geld für die Altersvorsorge am Kapitalmarkt anlegt. Wenn Brandmann nun also – unterstützt von Parteivize Johannes Vogel – rasche Nachverhandlungen bei der Rente fordert, könnte man das als Kritik an Lindners Verhandlungsgeschick verstehen. Ob der Finanzminister das so verstehen wird, ist eine der spannenderen Fragen vor diesem Wochenende.
Brandmann will sich jedenfalls unmittelbar nach Lindners Rede am Samstagmittag zu Wort melden. Und sie wird auch beantragen, die Passage zur Rente im Leitantrag schärfer zu formulieren. "Dieser Parteitag muss sich auf die Wirtschaftswende fokussieren." Sie erwarte, dass niemand Nebenschauplätze eröffnet.
Thomas Kemmerich – der Mann, dessen Name nicht genannt werden darf
Was die Chefin der Julis erwartet, wird diesem Mann herzlich egal sein. Thomas Kemmerich, Kurzzeit-Ministerpräsident von Thüringen, hat sich für den Parteitag ein eigenes Ziel gesetzt. "Ich will ein bisschen Werbung machen für den ostdeutschen Wahlkampf und unsere besondere Situation." Das ist ein Satz, der in jeder anderen Partei keine Erwähnung wert wäre. In der FDP jedoch ist er eine kleine Kampfansage.
Kemmerich tritt erneut als Spitzenkandidat der FDP bei der Landtagswahl in Thüringen an. Von der Bundespartei kriegen er und sein Landesverband dafür keine finanzielle Unterstützung. Seit Kemmerich 2020 die Wahl zum Ministerpräsidenten annahm, gilt er als Außenseiter in der Partei. Für das FDP-Präsidium ist er persona non grata.
Ihn scheint das wenig zu kümmern. Kemmerich will sich von der Bühne zu Wort melden und erklären, wie er die Dinge sieht. Bei der Landtagswahl in Thüringen werde die demokratische Mitte verteidigt, sagt er "Da brauchen wir alle Kräfte an der Seite der Freien Demokraten, damit wir eben nicht von den Extremen von Links und Rechts erdrückt werden."
Kemmerich rechnet mit Unterstützung aus vielen Regionen des Landes. "Jeder in unserer Partei ist ja frei zu sagen: Ich komme vorbei und mache Wahlkampf mit Euch." Das 12-Punkte-Papier seiner Partei gefällt ihm. Nur müsse es jetzt eben auch handlungsweisend für die FDP in der Regierung werden, warnt der Thüringer Landeschef. Sonst stelle sich die Frage: "Macht es noch Sinn, in dieser Regierung weiterzumachen?"